« Derjenige, der Casals nie gehört hat, weiß nicht, wie ein Streichinstrument klingen kann », sagte Wilhelm Furtwängler von dem wohl berühmtesten Cellisten des 20. Jahrhunderts, der vor fünfzig Jahren, am 22. Oktober 1973 gestorben ist.
Pau Carlos Salvador Defilló Casals wurde am 29. Dezember 1876 im spanischen Vendrell geboren. Der Vierjährige erhielt bereits Unterricht auf dem Klavier, der Flöte und der Geige von seinem Vater, einem Organisten und Musiklehrer. Im Alter von neun Jahren begann er mit dem Orgelunterricht. Der Elfjährige hörte zum ersten Mal ein Cello und war sofort vom Klang fasziniert.
1887 begann er sein Musikstudium am Konservatorium in Barcelona: Klavier und Komposition bei José Rodoreda und Cello bei José Garcia. Schon früh experimentierte er mit Finger- und Bogentechnik und entwickelte dadurch fast von Anfang an einen eigenen Stil. Nach seinem Debüt am 23. Februar 1891 im ‘Teatro Novedaes’ in Barcelona sah sich Casals gezwungen, in Caféhäusern zu spielen, um seine finanzielle Lage etwas aufzubessern. Im selben Jahr kaufte er sich auch ein Notenexemplar der sechs Suiten für Solocello von Johann Sebastian Bach, die er später so berühmt machen wird und die fast zum Markenzeichen seiner virtuosen Cellotechnik werden. Und über Bach sollte Casals einmal sagen: « Das Wunder Bach har sich in keiner anderen Kunst ereignet. Der menschlichen Natur sich soweit zu entäußern, dass sie göttliche Züge annimmt; geistige Leidenschaft auch in den menschlichsten Handlungen zu zeigen; den vergänglichsten Dingen die Flügel der Ewigkeit zu verleihen; die göttlichen Dinge zu vermenschlichen und die menschlichen Dinge zu vergöttlichen:
Das ist Bach, der höchste und reinste musikalische Augenblick aller Zeiten. Ich bin zu dieser Folgerung gekommen, die so einfach auszusprechen und deren Bedeutung so gewaltig ist: dieser Mann, der alles weiß und alles fühlt, kann keine Note niederschreiben, wie
unbedeutend sie auch erscheinen mag, ohne dass diese Note Anteil am Unendlichen hätte. Bach hat alle Gefühle zutiefst empfunden und sie in der vollkommensten Form ausgedrückt. In San Salvador pflegte Therese, meine Haushälterin, die Themen der meisten aus dem
‘Wohltemperierten Klavier’ zu summen, weil sie sie jeden Tag von mir zu hören bekam… Diese Musik ist der beste Verjüngungstrank. Sie verjüngt unseren Geist und regt uns dazu an, den Tag in freudiger und vertrauensvoller Stimmung zu verbringen. »
Nach seinem Studium in Madrid ging Casals nach Brüssel, wo er aber nicht sehr lange blieb. Er zog nach Paris, wo er am kleinen ‘Théâtre des Folies-Marigny’ eine bescheidene Anstellung als zweiter Cellist annahm. 1897 kehrte er nach Barcelona zurück, wo er zum Nachfolger seines Lehrers am Konservatorium und überdies noch zum Professor des ‘Liceo’ ernannt wurde. Zusammen mit dem belgischen Violinisten Mathieu Crickboom, Galves und Enrique Granados gründete er ein Streichquartett.
Casals internationale Karriere begann relativ unvermittelt: am 20. Mai 1899 führte er das Konzert von Edward Lalo im ‘Crystal Palace’ in London vor Queen Victoria und kurze Zeit später auch in Paris auf. Von nun an konnte er seinen internationalen Ruf beständig ausbauen, nicht zuletzt durch zahlreiche Tourneen ins Ausland. So bereiste er 1901 die USA (und verletzt sich auf dieser Fahrt an der Hand), und 1904 ein zweites Mal. Er spielte das Solocello bei der amerikanischen Erstaufführung von Richard Strauss’ Don Quichotte unter der Leitung des Komponisten. Er begann bereits 1903 mit ersten Aufnahmen, damals noch mit dem Aufnahmetrichter auf Schellack.
1905 gründete Casals zusammen mit Alfred Cortot und Jacques Thibaud ein Streichtrio, das schon bald auf der ganzen Welt für überragende Interpretationen steht und über dreißig Jahre lang aktiv war. Nach dem Ersten Weltkrieg schuf er in seiner katalanischen Heimat auf eigene finanzielle Verantwortung das ‘Orquestra Pau Casals’, das binnen kürzester Zeit so gut wurde, dass es Dirigenten wie Otto Klemperer, Richard Strauss und Igor Strawinsky verpflichten kann. Des Weiteren rief er eine Organisation ins Leben, die auch unvermögenden Menschen unabhängig von Geld und Status einen Zugang zur Musik verschaffen soll.
Ab 1933 weigerte sich Casals bereits, im Deutschland der Nationalsozialisten aufzutreten. Als begeisterter Anhänger der Spanischen Republik traf ihn der Sturz in den Bürgerkrieg besonders hart. 1937 entstand die berühmte und Maßstäbe setzende Einspielung der Cellokonzerte von Antonín Dvorák und Edward Elgar – Pablo Casals war auf dem Höhepunkt seiner Kunst und seiner Karriere angekommen. 1939 ging er ins Exil in das Pyrenäendorf Prades nahe der spanischen Grenze. Dort gab er Benefizkonzerte für die Flüchtlinge, deren er eigentlich selbst einer war. 1943 begann er die Komposition seines Oratoriums ‘El pessebre’ (‘Die Krippe’). 1945 zog er sich aus dem Konzertleben zurück, verbittert über die Nachsicht der Westmächte gegenüber dem Franco-Regime, doch im Jahr 1950 griff er anlässlich des 200. Todestages von Johann Sebastian Bach noch einmal zum Cello; viele bedeutende Künstler sind nach Prades gekommen, um mit ihm zu musizieren, darunter Clara Haskil, Rudolf Serkin, David Oistrach und Wilhelm Kempff.
1956 übersiedelte Casals nach Puerto Rico, woher seine Familie mütterlicherseits stammte. Auch hier übte er sofort tatkräftigen Einfluss auf das Musikleben aus, indem er zusammen mit Alexander Schneider das Musikfestival und das Symphonieorchester Puerto Ricos ins Leben rief. 1960 wird ‘El pessebre’ uraufgeführt und der Sechsundachtzigjährige geht 1962 damit auf Welttournee. Darüber hinaus gab er in dieser Zeit Meisterklassen in Siena, Zermatt und Vermont. Zu seinem neunzigsten Geburtstag nahm er noch einmal am Festival von Prades teil. Pablo Casals starb mit siebenundneunzig Jahren am 22. Oktober 1973 in Puerto Rico.
Dem für seine das Instrument revolutionierende Technik, seinen schönen und vollen Ton und seine intelligenten Auslegungen bekannten Casals haben viele Komponisten Werke gewidmet, so zum Beispiel Gabriel Fauré, Louis-Victor-Jules Vierne, Alexander Glasunow und George Enescu. 1930 spielt er die Uraufführung der ‘Fantasie on Sussex Folk Tunes’ von Ralph Vaughan Williams.
Überlassen wir abschließend Thomas Mann das Wort, der Pablo Casals so gewürdigt hat: « … tiefste Ehrerbietung und eine Bewunderung, die etwas von Jubel hat, angesichts eines menschlichen Phänomens, in welche1n ein hinreißendes Künstlertum sich mit entschiedenster Verweigerung jedes Zugeständnisses an das Böse, an das moralisch Miserable und die Gerechtigkeit Beleidigende auf eine Weise verbindet, die geradezu unseren Begriff vorn Künstler läutert und erhöht, ihrn für einrnal jede Ironie entzieht und in verwilderter Zeit ein Beispiel stolzer, durch nichts zu bestechender Integrität setzt. (…) Hier ist keine Spur von ästhetischer Neutralität in Fragen der Menschlichkeit, von jener Bereitschaft zur Prostitution, die so oft das liebe Künstlervölkchen charakterisiert… Prades, diesen Namen haben wenige gekannt, bevor er ihn mit dem seinen verband. Jetzt kennt ihn jeder. Er ist zum Symbol geworden eines Künstlertums, das unverführbar auf sich hält, zum Symbol unerschütterlicher Einheit von Kunst und Moralität. »