Der österreichische Geiger Thomas Albertus Irnberger und der deutsche Pianist Michael Korstick nehmen für das Wiener Label Gramola Ludwig van Beethovens Violinsonaten auf. Der ersten CD nach zu urteilen scheint das ein aufregendes Unternehmen zu werden. Im Textheft der ersten CD stellt Irnberger Zusammenhänge zwischen den beiden Sonaten und der zehn Jahre andauernden Liebesaffäre Beethovens mit Josephine von Brunswick her. Obwohl, wie aus dem folgenden Interview ersichtlich, Michael Korstick, alias Dr. Beethoven, den Lebensumständen des Komponisten weniger Bedeutung beimisst als sein geigender Partner, ist für den zuhörenden Rezensenten der Kontext schon spannend. Remy Franck hat dies zum Ausgangspunkt seines Gesprächs mit beiden Künstlern genommen.

Thomas Albertus Irnberger & Michael Korstick bei der Aufnahme der Beethoven-Sonaten

Auf Ihrer neuen CD erzählen Sie Anfang und Ende einer Liebesgeschichte, die Sonate op. 47 als leidenschaftliche Affäre, die Sonate op. 96 eher als Rückblick.
Michael Korstick: Wenn Sie das Booklet zur CD genau lesen und unsere Aufnahme aufmerksam hören, dann werden Sie sehen, dass wir die Stücke nicht im Sinne des Regietheaters inszenieren wollen. Unser erklärtes gemeinsames Ziel war, endlich einmal eine zu hundert Prozent genaue Umsetzung des Notentextes zu realisieren und die wahrscheinlichen Absichten des Komponisten ungefiltert Eins zu Eins umzusetzen. Da so etwas bis jetzt praktisch noch nie auch nur versucht wurde und unser Ergebnis deshalb relativ weit von so ziemlich allen bisherigen Aufnahmen entfernt ist, wollten wir einfach anhand der Biografie Beethovens überprüfen, ob sich unser musikalisches Ergebnis mit dem modernen Stand der biografischen Forschung in Einklang zu bringen ist. Mehr ist da nicht, also gibt es auch keine Geschichte.
Thomas Albertus Irnberger: …. wobei aber unbestritten ist, dass die Violinsonaten im Rahmen der Zusammenkünfte Beethovens mit Josephine Brunswick zuerst erklangen, und Beethoven nach Ende der Beziehung keine Werke dieser Art mehr komponierte, obwohl er noch etwa fünfzehn Jahre lebte.

Michael Korstick (c) Marion Koell

Michael Korstick
(c) Marion Koell

Wieso sind es gerade diese beiden Werke, die so sehr den leidenschaftlich liebenden Beethoven darstellen sollen? Es gibt ja auch die 4. Symphonie, das Violinkonzert, die in den Kontext gebracht werden, aber eigentlich viel ausgeglichener sind?
M.K: Die Frage stellt das Problem ganz gut dar: In einer bestimmten Lebenssituation können die unterschiedlichsten Elemente aufeinandertreffen, und sie finden, je nachdem, auch unterschiedlichen Ausdruck. Aber es ging uns, wie gesagt, nicht ums Biografische, das wäre eine grobe Simplifizierung.
T.A.I: Beethovens Biograph Anton Schindler spricht bei manchen von Beethovens Kompositionen vom Malen von Seelenzuständen. Seine Gemütsverfassung floss sicher, wenn auch vielleicht unbewusst, in ein Werk ein. Es ist ja auch bei Dichtern nicht anders, wenn man sich z.B. die pessimistische Grundstimmung einer Vielzahl von Gedichten ins Gedächtnis ruft, die vor oder während des 1. Weltkriegs entstanden sind.

Die ersten zwei Minuten der Kreutzer-Sonate, wie Sie sie spielen, sind ja total krank…
M.K: Da haben Sie’s! Wahrscheinlich haben Sie sich in all den Jahren des Hörens so sehr an die übliche pauschale und seichte Glätte und diesen nivellierten Schönklang gewöhnt, dass Sie geschockt sind, wenn Sie hören, wie es klingt, wenn es mal so gespielt wird, wie es in den Noten steht.
T.A.I: Eine herrlich provokante Frage….(lacht). Interessanterweise hat schon Max Rostal 1981 in seinem Buch über Beethovens Violinsonaten geschrieben, dass der Beginn der Kreutzersonate auf einem Bogen gespielt werden müsste, er selbst würde sich aber dazu nicht in der Lage sehen und hielt es allgemein nicht für technisch machbar. Über dreißig Jahre haben sich die Geiger dieser Einschätzung gebeugt, und es gar nicht erst versucht. Dabei hat Beethoven Geige gespielt und eindeutig zwischen Phrasierungsbogen und sogenannten Bogenbogen unterschieden. Wenn nun unsere authentische Umsetzung von Beethovens Notentext andere Musiker aufschreckt und zum Nachdenken anregt, freut uns das. Es darf nicht sein, dass die jahrelange falsche Aufführungspraxis das Mäntelchen der ‘Richtigkeit’ umgehängt bekommt, während das Authentische mit dem Attribut ‘krank’ ausgestattet wird. Das absolute Legato am Beginn ist die Ruhe vor dem Sturm.

Thomas Albertus Irnberger (c) Irène Zandel

Thomas Albertus Irnberger
(c) Irène Zandel

Doch was danach kommt, ist – wenn ich mich mal an das Booklet anlehne – ein brodelndes Liebesfeuer.
M.K: Wie gesagt, so einfach ist es in der Musik nie!
T.A.I: Die sexuelle Komponente haben Sie jetzt ins Spiel gebracht. Sie ist sicher nicht außer Acht zu lassen, womit wir wieder bei den Gefühlen, der Gemütsverfassung angelangt sind. Alles schwingt mit.

Welches Instrument ist denn hier der Geliebte und welches die Geliebte?
M.K: Ich hoffe jetzt mal, dass Ihre Frage ironisch gemeint ist (lacht). Aber mal im Ernst: die Rolle der Instrumente ist eine Frage, die für uns ganz zentral war. Beethovens Neuerung liegt nämlich darin, dass hier weder eins der beiden Instrumente die Hauptrolle spielt, noch beide Instrumente gleichberechtigt sind im Sinne einer Verschmelzung. Vielmehr ist es so, dass je nach kompositorischer Absicht die Instrumente blitzschnell die Rollen tauschen. Das ist nicht immer so leicht getan wie gesagt, das kostet eine Menge Gedankenarbeit.
T.A.I: Da kann ich Michael nur beipflichten.

Und der betrogene Ehemann spielt nicht mit?
M.K: Der musste wohl warten, bis dann mal wieder ein Trio an der Reihe war …
T.A.I: Er spielte nur eine untergeordnete Rolle und muss auch nicht allzu sehr bedauert werden, war er doch bis zu seiner Hochzeit kein Kind von Traurigkeit und hat seiner jungen Frau zugemutet mit seinen als Nichten ausgegebenen unehelichen Töchtern – ich glaube, es waren fünf – , im selben Haus zu wohnen.

Darf man die Musik so sehr autobiographisch werden lassen?
M.K: Nein, darf man nicht. Das wäre eine ziemlich dumme Herangehensweise, das wäre ja genau das ‘moderne Regietheater’, das sich darin gefällt, einem Stück ein Konzept überzustülpen und dann munter drauflos zu dilettieren. Jede einzelne Entscheidung, die wir getroffen haben, lässt sich exakt aus dem Notentext herleiten.
T.A.I: Die autobiographische Untermauerung verhilft allerdings dem nicht geschulten Hörer, und wir wollen ja auch diese ansprechen, vielleicht zu mehr Verständnis.

Wohlklang war nicht Ihr Ziel. War Beethoven 1802 wirklich ein solcher Draufgänger?
M.K: Nun ja, wie definieren Sie denn eigentlich Wohlklang? Der Begriff ist für mich negativ besetzt, und ich denke, so wie Sie das meinen, haben Sie auch Recht. Diese Art, wie die Stücke mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen bisher immer gespielt wurden, ist vom Prinzip der Nivellierung bestimmt, dynamische Kontraste werden einfach eingeebnet, Akzente schlicht ignoriert, niemand schert sich um Artikulation oder Tempi, da werden schnelle Sätze zu langsam und langsame Sätze zu schnell gespielt, alles schön ‘middle of the road’, bloß nicht anecken, das taugt vielleicht als Fahrstuhlmusik, aber das braucht die Welt doch nicht wirklich.
T.A.I: Dazu möchte ich folgenden Satz Beethovens einwerfen: « O Gott ! Gib mir die Kraft, mich zu besiegen!“

Und 1812, zwei Opus-Nummern vor seinem Zyklus An die ferne Geliebte…?
M.K: Vergessen Sie einfach mal die ferne Geliebte. Die Sonate op. 96 ist ein wahnsinnig spannendes Stück, weil hier die Bruchstelle zum Spätstil ganz klar hervortritt. Das Stück ist sicher nicht so spektakulär wie die Kreutzer-Sonate, aber für den aufmerksamen Hörer ist diese Sonate subtiles Gold.
T.A.I: Ich möchte die Geliebte nicht ganz vergessen. Natürlich ist der Zyklus ‘An die ferne Geliebte“’ in verdächtiger Nähe zum Opus 96 geschrieben worden, so wie sich Beethoven ständig in ihrer Nähe aufgehalten hat. Aber auf all das in einem kurzen Booklettext einzugehen, würde den Rahmen sprengen.

Diese zehn Jahre sind aber auch die in denen sich sein Gehör sehr verschlechterte. Merken Sie auch davon etwas in den beiden Werken?
M.K: Das ist doch Unfug, das müsste ja dann für alle Werke Beethovens gleichermaßen gelten.
T.A.I: Zudem gibt es auch ein inneres Hören. Man braucht kein Instrument, um eine Melodie in sich singen zu können.

Haben Sie vor der Aufnahme die Frage Hammerklavier ‘ja oder nein’ diskutiert? Oder war es von vorneherein klar, dass Dr. Beethoven nur auf einem modernen Steinway spielen würde?
M.K: Die Frage hat sich so gar nicht gestellt. Warum sollten wir ein Instrument benutzen, das von Beethoven selbst als unzureichend empfunden wurde? Beethoven war ein Visionär, ein Utopist, er hat seine Musik für ein Instrument geschrieben, das es damals gar nicht gab und von dem er vielleicht träumte. Dieses Instrument besitzen wir heute, das ist der Steinway. Wir haben allerdings viele Stellen, besonders wegen der vorgeschriebenen Pedalisierungen, auf den Flügeln von Conrad Graf und Broadwood, die Thomas Albertus Irnberger besitzt, auf ihre klangliche Wirkung überprüft und das Ergebnis auf den Steinway übertragen. Diese beiden Instrumente aus der Beethovenzeit standen übrigens während der Aufnahmen nur wenige Meter entfernt von meinem Steinway, eine wirklich spannende Situation.
T.A.I: Ich habe den Beethoven-Violinsonatenzyklus im Laufe der Jahre mit mehreren Hammerklavierpianisten auf historischen Flügeln gespielt. Bei den frühen Violinsonaten, vorrangig den ersten beiden, die noch sozusagen in die Haydn- und Mozartzeit zurückblicken, war das Ergebnis für mich noch befriedigend, aber spätestens ab der 3. Violinsonate war mir klar, dass Beethoven in seiner Vorstellung viel weiter war als die Instrumente seiner Zeit. Deswegen war ich auch für die Verwendung eines modernen Steinways. Für Michael und mich ist Authentizität wichtig, bei der Strauss-Violinsonate haben wir sogar das Experiment gewagt – eine Aufnahme auf dem Hammerflügel, eine auf dem modernen Flügel. Der Vergleich ist interessant. Aufschluss über Beethovens Intentionen zur Verbesserung der Klaviere geben übrigens die schriftlichen Zeugnisse über die Konversationen Beethovens mit der Klavierbauerfamilie Streicher.

Welche Geschichte erzählen Sie denn auf der nächsten CD dieser Reihe?
M.K: Immer wieder dieselbe: wenn man sich die Mühe macht, wirklich nachzudenken und genau hinzuschauen, dann kommt man ganz nah an den Kern der Musik heran und kann die Werke auf eine Art zum Leben erwecken, die dem Komponisten vielleicht nicht ganz missfallen hätten.
T.A.I: Eventuelle Geschichten werden zudem nicht vorschnell verraten, ich werde Ihnen trotzdem eine Geschichte erzählen, die sich aber auf die vorliegende Aufnahme bezieht: Am 3. September 2013 – ich hatte mich mit Michael schon für mehrere Beethovenprojekt-Proben getroffen gehabt- rief mich Jörg Demus verzweifelt an, er hätte am Abend im Beethovenhaus in Baden bei Wien ein Konzert auf dem dortigen Graf-Flügel. Die ‘Pathetique’, die Op.109-Klaviersonate, die D- Dur-Sonate op. 10/3 und die Bagatellen op. 126 stünden auf dem Programm und sein Tonmeister, der alles auf CD hätte bannen sollen, hätte ihm kurzfristig abgesagt. Er fragte mich, der ich mich auch in der Tontechnik sehr gut auskenne, ob ich bereit wäre, seine Aufnahme zu retten. Obwohl ich selbst zeitlich unter Druck war, setzte ich mich umgehend ins Auto und fuhr nach Baden. Am frühen Nachmittag platzierte ich die Mikrofone und wartete auf den Abend, als mich Eduard Melkus davon in Kenntnis setzte, dass Rita Steblin zwei Stunden vor dem Konzert über die ‘Unsterbliche Geliebte’ referieren würde. In diesem unglaublich aufschlussreichen und spannenden mit dem Untertitel ‘des Rätsels Lösung’ behafteten Vortrag wurde all dies bestätigt, was mir der Notentext zuvor schon verraten hatte. Ich glaube, dass alles im Leben einen Sinn hat, auch wenn man den erst oft später erkennt.

Hier geht’s zur Rezension der CD.

 

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