Am Samstag, 4. Juli, haben zahlreiche Musikfreunde und Unterstützer des SWR Symphonieorchesters im Freiburger Konzerthaus mit einer Informationsaktion erneut ihr Unverständnis für die vorgesehene Orchesterfusion beim SWR zum Ausdruck gebracht. Dabei wurde ein Informationsblatt mit ‘Fragen zur Orchesterfusion des SWR’ an die Konzertbesucher verteilt. Wir wollen unseren Lesern den Inhalt dieses Informationsblatts nicht vorenthalten.
Dieses beantwortet die wichtigsten, immer wieder gestellten Fragen zur ‘Fusion’. Vor der für den 9. Juli vom SWR anberaumten Pressekonferenz, bei der das erste Saison-Programm des künftigen Fusionsorchesters vorgestellt werden soll, hatte diese Aktion und das verteilte Informationsblatt eine besondere Aktualität.
Fragen zur aktuellen Situation der Orchesterfusion beim SWR
1. Wie wird das SWR Fusionsorchester heißen?
Innerhalb Deutschlands: SWR-Symphonieorchester. Im Ausland: SWR-Symphonieorchester Stuttgart!
2. Wird das SWR Fusionsorchester den Ruf Freiburgs als Musikstadt repräsentieren?
Nein: Das SWR SO hat 20 Jahre den Namen Freiburgs in die Musikwelt getragen. Bei allen großen Festivals für Neue Musik war das SO mit maßgeblichen Beiträgen vertreten. Gerade in den letzten Jahren wurde das SO durch nationale und internationale Preise geehrt, im Dezember 2014 erfolgte sogar die Nominierung für einen Grammy Award.
3. Gibt es einen Chefdirigenten für das SWR Fusionsorchester?
Nein: Das Orchester startet seine erste und wahrscheinlich auch seine zweite Saison ohne Chefdirigenten; der SWR konnte bislang keinen herausragenden Dirigenten verpflichten. Vor der Entscheidung über die ‘Orchesterfusion’ wurde vom SWR immer wieder betont, dass man für das geplante Spitzenorchester einen international renommierten Chefdirigenten engagieren werde. Diese Zusage konnte bisher nicht eingehalten werden.
4. Lassen sich in Stuttgart die für das SWR Fusionsorchester versprochenen Vorteile umsetzen?
Nein: Die räumlichen Bedingungen sind miserabel (vgl. Frage 10), die Zahl der internationalen Konzerte wird deutlich reduziert, die geplante Zahl der Konzerte in sinfonischer Besetzung kann nicht erreicht werden (vgl. Frage 7), durch den „Exzellenz-Anspruch“ an das Fusionsorchester wird die Konkurrenz um Publikum, Solisten und Dirigenten zwischen den drei A-Orchestern in Stuttgart noch größer werden als bisher, während das Konzertprogramm kaum noch Aufsehen erregen dürfte.
5. Wird das SWR Fusionsorchester die versprochenen 90 Konzerte in sinfonischer Besetzung pro Saison geben können?
Nein: In der vom SWR erstellten Spielplansimulation sind 86 Konzerte geplant; darin sind auch Konzerte in Kammerbesetzung enthalten. Aber selbst diese Simulation ist unrealistisch, da der Orchestertarifvertrag nicht beachtet und die tarifrechtlich erlaubte Arbeitszeit der Musiker überschritten wurde. Es fehlen Tage für individuelle Arbeit, Ausgleichstage, Termine für Probespiele, Termine für Orchesterversammlungen (in den Anfangsjahren sehr wichtig), Reisetage usw.; deshalb werden nötige Nachbesserungen zu einer Verringerung der Anzahl an Konzerten führen.
6. Werden sich die finanziellen Verhältnisse für das SWR Fusionsorchester spürbar verbessern?
Nein: Nach den aktuellen Informationen wird das Fusionsorchester künftig über keinen höheren künstlerischen Etat verfügen können, als jedes einzelne der beiden SWR Orchester bisher. Von einer Anhebung des künftigen Etats ist nicht mehr die Rede. Denn um die Sparziele auch nur ansatzweise zu erreichen, muss bei den Sachmitteln gespart werden; schließlich kosten die rd. 200 Musikerinnen und Musiker bis auf weiteres sehr viel Geld.
7. Wird das Sparziel des SWR durch die Orchesterfusion wie angekündigt (2020) erreicht?
Nein: Vor der Fusionsentscheidung wurde ein Sparziel bis 2020 von 5 Mio. Euro pro Jahr als unabdingbare Forderung benannt. Heute ist klar, dass dieses Ziel auch 2025 nicht erreicht sein wird. Dazu müssten viel mehr Orchestermitglieder in den Ruhestand gehen oder aus anderen Gründen ausscheiden; beides ist nicht zu erwarten.
8. Wird die Neue Musik wie bisher ein wichtiger Schwerpunkt im Abo-Programm des Fusionsorchesters bleiben?
Nein: Der programmatische Schwerpunkt des SO auf Neuer Musik soll zwar auch ins Programm des Fusionsorchesters übernommen werden, aber dies gilt für die bisherigen Programmschwerpunkte des RSO ebenso. Und da in Zukunft jedes Abo-Konzert zweimal in Stuttgart und einmal in Freiburg gespielt werden soll, das Stuttgarter Publikum bei weitem nicht den hohen Anteil Neuer Musik gewohnt ist wie das Freiburger, wird der Stuttgarter Musikgeschmack mit Sicherheit die Programmgestaltung dominieren!
9. Wird das über viele Jahre gesammelte Wissen und Können unseres SWR SO in der Neuen Musik im Fusionsorchester weiterentwickelt?
Nein: Da die Neue Musik im künftigen Programm des Fusionsorchesters einen wesentlich geringeren Stellenwert einnehmen wird und von dem in Neuer Musik besonders erfahrenen SO-Musikern immer nur ein Teil spielen kann, ist es absehbar, dass sich das Wissen und Können der Orchestermitglieder in der Neuen Musik vom heutigen Stand des SO aus kaum weiterentwickeln, sondern eher vermindern wird. Damit geht für viele zeitgenössische Komponisten die Chance verloren, Kompositionen in sinfonischer Besetzung meisterhaft aufzuführen.
10. Sind die Arbeitsbedingungen für das SWR Fusionsorchester in Stuttgart wirklich so gut wie versprochen?
Nein: Das Fusionsorchester muss künftig zwischen 6 Probenorten hin und her pendeln: Stuttgarter Liederhalle 67 Tage (Beethovensaal, der zu kleine Mozartsaal, Hegelsaal), Sindelfinger Stadthalle 13 Tage (20 Km vor Stuttgart), Funkhaus Stuttgart 33 Tage (zu klein und akustisch schwierig), Theaterhaus Stuttgart 5 Tage, Konzerthaus Freiburg 28 Tage. Dadurch entstehen zusätzliche Miet-, Reise- und Transportkosten, Kosten für zusätzliche Aufnahmewagen, sowie zusätzliche Dienstzeiten der Musiker durch An- und Abreise. Wegen des Umbaus der Stuttgarter Oper wird die Raumnot noch größer. Der SWR ‘begleitet’ daher schon heute die (vage) Idee eines neuen großen Konzerthauses in Stuttgart ‘mit großer Sympathie“! Von der Zusage ‘idealer’ Arbeitsbedingungen in Stuttgart ist das Fusionsorchester weit entfernt.
11. Ist es gewährleistet, dass Freiburg auf Dauer Konzertplatz für das Fusionsorchester bleibt?
Nein: Es ist zu befürchten, dass der SWR die Zusagen für den Konzertplatz Freiburg (Abo-Konzerte, Kinder- und Jugendprojekte) nur so lange aufrecht erhält, wie ihm dies aus politischen Gründen geboten erscheint, um dann sein Engagement nach und nach abzubauen.
12. War unser Protest gegen die Orchesterfusion vergebens?
Nein: Der Widerstand gegen die Auflösung des SO ist nicht ohne Wirkung geblieben: Der laute Protest der SO- Unterstützer hat weit über Baden-Württemberg hinaus gezeigt, dass es ein Musikpublikum gibt, das sich für sein Orchester engagiert und sogar speziell für die Neue Musik; der Bayerische Rundfunk und der WDR haben entgegen früheren Überlegungen beschlossen, ihre jeweils zweiten Orchester (das Münchner Rundfunkorchester und das WDR-Funkhausorchester) nicht anzutasten; auch der Beschluss der baden-württembergischen Landesregierung, die finanzielle Förderung der Musikkultur (vor allem im badischen Landesteil) in den nächsten sechs Jahren um 12 Mio. Euro anzuheben, war sicher nicht nur ein Wahlgeschenk, sondern auch eine Reaktion auf die entsprechenden Forderungen bei allen Protestkundgebungen.
13. Sind die wahren Gründe für die SWR-Orchesterfusion bekannt?
Nein: Vermutlich kennt der SWR die wahren Gründe selbst nicht! Anzunehmen ist eine Mischung aus politischem Druck aus Rheinland-Pfalz nach der ‘Fusion’ von SWF und SR, einer starrsinnigen Durchsetzung des einmal gefassten Beschlusses von Intendanz und Rundfunkrat, totale Ignoranz der traditionsreichen, exzellenten Musik- und Orchesterkultur des SWR SO, Unkenntnis über die musikalische Eigenständigkeit und internationale Bedeutung der beiden bestehenden SWR-Orchester, Gleichgültigkeit gegenüber der Musikstadt Freiburg, u.v.m.
14. Wird der SWR seinem Kulturauftrag künftig noch gerecht?
Nein: Die Aufführung sinfonischer Neuer Musik auf höchstem musikalischem Niveau ist die stärkste Begründung dafür, warum die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eigene große Sinfonieorchester unterhalten sollten. Keine andere Musikgattung ist gleichermaßen auf eine bewusste Programmgestaltung, auf gezielte Auftragskompositionen und eine exzellente Aufführungsqualität angewiesen. Die bewusste Zerstörung des entsprechenden Klangkörpers oder ein leichtfertiger Verzicht darauf widerspricht dem Kulturauftrag der Rundfunkanstalten. Für den SWR bedeutet dies, dass er Gefahr läuft, sich selbst als wichtigen Kulturträger abzuschaffen!
15. Zerstört der SWR mit der Fusion traditionelle Orchesterkultur?
Ja: Das SWR SO wurde 1946 (als SWF SO) von der französischen Übergangsverwaltung gegründet, um im deutschen Südwesten die bis dahin unterdrückte zeitgenössische (‘entartete’) Musik wieder aufleben zu lassen. Seither pflegt das SO die Neue Musik wie kein anderes Orchester weltweit. Die Reihe namhafter Dirigenten hat diese besondere Musikkultur weitergeführt und immer neu geprägt. Für zahlreiche Komponisten war die Existenz des SWR SO die Voraussetzung für ihre großen sinfonischen Kompositionen. Es ist zu befürchten, dass all dies mit der Gründung des Fusionsorchesters für immer verloren geht.