Relativ rar gesät ist das Konzertrepertoire für die Gattung des Streichtrios – trotzdem hat Wolfgang Amadeus Mozart mit seinem Divertimento KV 563 nichts weniger als „das beste Stück der Welt“ hinterlassen - so empfindet es zumindest Ursula Sarnthein, die zusammen mit ihren Mitstreiterinnen die Ausdruckstiefen und Wagnisse dieses Werkes ausgelotet hat. Die Ergebnisse dieses Prozesses auf CD zu veröffentlichen, ist beim Trio Oreade kein Selbstzweck, geht es Violaspielerin Ursula Sarntein sowie Yukiko Ishibashi, Violine und Christine Hu doch vor allem um die Horizonterweiterung beim Publikum. Die Rechnung ging auf:  Eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne für das aktuelle CD-Projekt trug reiche Früchte. Ursula Sarnthein erläuterte im Gespräch mit Stefan Pieper, warum ein Gespür für Publikumserfolg das beste Kapital ist.

Würden Sie sagen, dass Sie mit diesem Mozart-Divertimento eine diskografische Lücke füllen?
Mozarts großes Divertimento ist bislang selten aufgenommen worden – ich glaube außer dem Trio Zimmermann hat sich bislang kein „festes“ Trio-Ensemble damit beschäftigt. Es gibt überhaupt nur sehr wenige Ensembles, die sich mit Ausdauer dieser Besetzung verschrieben haben. Das KV 563 rechtfertigt dies aber in höchstem Maße – es ist eines der ganz großen Stücke Mozarts. Es war uns schon lange klar, dass wir es aufnehmen wollten.

Dieses Stück ist ja wirklich „groß“ im wahrsten Sinne des Wortes und sprengt den Rahmen eines Unterhaltungsstückes, worauf die Gattungsbezeichnung ja in irreführender Weise hindeutet. Was für Entdeckungen haben Sie hier gemacht?
Man ist ja gewöhnt, sich an Mozart zu freuen und jeder bestätigt Ihnen, dass diese Musik ja „schön“ sei. Aber es zahlt sich aus, hier noch tiefer zu blicken. Es ist faszinierend, wenn man gräbt – dann hört man immer mehr heraus, dass die Musik viel mehr als schön, sondern wirklich spektakulär ist. Man denke allein an die vielen harmonischen Wendungen, vor allem in der Mitte des langsamen Satzes sind sie wirklich spektakulär. Ebenso hält sich der formale Aufbau an keine Konvention. Da fängt etwa der erste Satz mit einem „Schlussakkord“ an und wäre eigentlich zu Ende, wo es doch gerade angefangen hat. Natürlich wird alles von ganz seligen Melodien getragen. Aber aus denen gehen ganz schnelle Sechzehntelläufe hervor – da sind so viele Dinge, die über ein „normales“ Divertimento, das man beim Abendessen hören kann, weit hinaus gehen. Mozart zeigt sich immer wieder als großer Meister, aus einem Tonfall von hoher Leichtigkeit höchste Kompositionskunst zu schöpfen.

Wollte Mozart hier bewusst Grenzen sprengen? Oder ist er in seinem Schaffensrausch einfach über das Ziel hinaus geschossen?
Die Kammermusik war seit jeher ein Experimentierfeld für Komponisten. Stücke wurden für die „Kammer“ des Fürsten geschrieben und waren meist Auftragskompositionen. Hier wurde gerne mal tief in die Trickkiste gegriffen. Auf bemerkenswerte Weise bleibt Mozart aber seinen Idealen treu – nämlich, dass die Musik vordergründig so einfach wirken soll, dass sie „auch für einen Fiakerfahrer“ verständlich bleibt, wie er es einmal formulierte. Man vermutet, dass es keinen Auftrag zu diesem Werk gab. Hier hat er rein zum eigenen Vergnügen, vielleicht zum Selberspielen geschrieben. Er wollte alles so machen, wie er es kann, ohne dass ihm jemand Geld zahlen würde. Einfach mal zeigen, was geht!

Der Einführungstext, den Sie für das Booklet verfasst haben, zeigt, dass Ihnen die Vermittlung des Notentextes ein Herzensanliegen ist. Moderieren Sie auch Ihre Konzerte?
Normalerweise tue ich das immer. Prägnante Erläuterungen leiten das Ohr und man hört aktiver zu. Damit kommt auch viel besser in den Blick, wer Mozart war. Wenn ich zum Beispiel Mozarts Zitat mit dem Fiaker-Fahrer vorlese, geht eine Aufführung des großen Divertimentos schon ganz anders los.

Welche Prioritäten setzen Sie in Ihrem Spiel, dass der Funke beim Publikum überspringt?
Was die Lebendigkeit ungemein steigert, ist die Tatsache, dass wir nicht stur im Rhythmus durchspielen, sondern die Tempi sehr beweglich halten. Wir haben uns für dieses Projekt mit einem Musikwissenschaftler in Basel ausgetauscht, der uns gute historisch fundierte Anregungen gab, wie lange etwa Pausen durchgehalten werden können, bevor der nächste Abschnitt kommt. Eine möglichst lebendige Gestaltung fördert das aktive Zuhören immens. Betrachten wir zum Beispiel den letzten Divertimento-Satz, das Rondo. Nach dem Refrain funkt eine Art Trommelmotiv dazwischen – dieses Motiv heizt sich so auf und bildet einen Kontrast zum lieblichen Rondothema. Man kann sich beim letzten Auftreten des Rondothemas einen Spaß daraus machen, immer leiser zu werden, bis die Leute richtig « eingelullt » sind. Dann kommt mit diesem Motiv ein starker Weckruf! Solche Überraschungseffekte heraus zu arbeiten ist immer ein riesiges Vergnügen.

Warum musizieren Sie überhaupt in einer Trio-Besetzung?
Das hat sich einfach so ergeben. Ich habe zuerst Geige studiert und bin dann mit 27 zur Bratsche gewechselt. Beethovens Trios, nachts bei einer Party vom Blatt gelesen, waren für mich die Intitalzündung für meinen Wunsch, Streichtrio zu spielen. Schon seit 2001 spiele ich mit der Geigerin Yukiko Ishibashi zusammen Trio. Christine Hu ist seit 2012 Teil des Ensembles. Es gibt nicht sehr viel Repertoire für diese Besetzung, aber viel Spannendes und wenig Bekanntes zu entdecken. Das schätzt auch unser Publikum. Als ehemalige Geigerin mag ich am Bratschenpart im Streichtrio das Virtuose und den stetigen Wechsel zwischen der Funktion als 2. Geige oder 2. Cello.

Dass Sie Ihre aktuelle CD-Produktion in Eigenregie finanziert haben und sich dafür fürs Crowdfunding entschieden haben, belegt Ihr Gespür für Publikumserfolg. Wie kam es dazu?
Auftrittsmöglichkeiten fallen nicht vom Himmel und Dinge geschehen nur, wenn man sie selber macht. Es war allerdings ein Glücksfall für uns, dass die NZZ einen großen Artikel veröffentlichte, weil wir soeben die Stradivari-Instrumente von der Habisreutinger-Stiftung verliehen bekommen hatten. Das hat für viel öffentliche Wahrnehmung gesorgt. Also war dies ein idealer Zeitpunkt für ein Crowdfunding. Da kamen erfreulich viele Bekannte und Unterstützer zusammen. Es funktioniert so, dass jeder, der sich an der Finanzierung beteiligt, etwas bekommt: von der quasi im Voraus gekauften CD über ein Kammermusik-Coaching bis zum exklusiven Hauskonzert für die grosszügigsten Gönner. Die gespendeten Beiträge haben die CD erst möglich gemacht und wir danken allen Unterstützerinnen und Unterstützern für ihr Vertrauen.

Das Feedback eines Publikums ist also Ihr allerwichtigstes Anliegen?
Mozart aufzunehmen ist keine Sache für öffentliche Förderung, denn sowas ist kein Nischen-Segment. Die Botschaft sollte sein, dass wir hier eine CD mit dem besten Stück der Welt aufnehmen! Das ist etwas überspitzt gemeint, aber es ist auf jeden Fall ein extrem sensationelles Stück, das hier auf ebenso sensationellen Instrumenten, nämlich drei Stradivaris gespielt wird. Diese Instrumente sind kunsthistorische Schätze, die zudem auch noch unglaublich gut klingen. Allein davon geht eine riesige Faszination aus. Das alles sind Aspekte, die eine unglaubliche Anziehungskraft auf ein Publikum haben. Ohne dies wäre das Crowdfunding vermutlich nicht so erfolgreich gewesen.

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