Anlässlich des Konzerts zum 35-jährigen Bestehen des Orchesters Solistes Européens Luxembourg, das am 30. September in der der Luxemburger Philharmonie stattfindet,  hat sich unser Mitarbeiter Alain Steffen mit dem israelischen Violinisten Vadim Gluzman unterhalten.

Vadim Gluzman
(c) Marco Borggreve

Herr Gluzman, anlässlich des Jubiläumskonzerts der Solistes Européens Luxembourg spielen Sie das 2. Violinkonzert von Serge Prokofiev. Wie ist dieses Werk einzuschätzen?
Nun, Prokofjew hatte sich nach seinem 1. Violinkonzert fast 20 Jahre Zeit gelassen, um ein neues Orchesterwerk für die Violine zu schreiben.  Damals, also 1935 reiste er viel umher. Jeder Satz dieses Konzerts wurde an einem anderen Ort komponiert, das Werk selbst wurde in Madrid mit riesigem Erfolg von dem Geigenvirtuosen Robert Soetens uraufgeführt. Er griff dabei zum Teil auf Material zurück, das er für sein Ballett Romeo und Julia nicht verwendet hatte. Aber auch traditionelle russische Themen finden sich in diesem Konzert wieder. Stilistisch war Prokofiev damals bei seiner ‘neuen Einfachheit’ angelangt, aber der schlichte Charakter des Werkes täuscht, denn es stellt unheimlich große Anforderungen an der Solisten. Ich liebe das Stück, weil ich eigentlich permanent zwei konträre Positionen und Charaktere einnehmen muss. Einmal fordert die Musik einen wunderschönen romantischen Ton, um dann radikal zu einem markanten und hochvirtuosen  Spiel zu wechseln. Für einen Solisten ist das wirklich herausfordernd und unheimlich spannend.

Prokofiev kehrte nach Russland zurück und seine Musik wurde dann zu Propagandazwecken benutzt.
Ja, man muss allerdings sagen, dass Prokofiev sein 2. Violinkonzert ohne sowjetischen Druck komponiert hat, also er hat das Werk ganz frei aus sich geschaffen. Aber wie wir alle wissen, nutzt ein autoritärer Staat sehr gerne die Kunst für seine eigenen Zwecke und verfälscht dabei bewusst ihren Sinn. Das Stalin-Regime beispielsweise benutzte Prokofievs kompositorische Entwicklung hin zu einem Stil der Einfachheit als ein Zeichen der Idealverkörperung einer sowjetischen Populärkunst, was aber von Prokofiev nie so gedacht war.

Sie selbst sind in der Ukraine geboren, haben dann in Riga und später in Israel und Amerika studiert. Demnach sind sie kein Vertreter der russischen Schule.
Nein, ich habe zwar neun Monate in Nowosibirsk studiert, wo ich von Zakhar Bron unterrichtet wurde, der ein sehr inspirierender Lehrer war und jeden seiner Schüler wirklich individuell geformt hat. Meine Einflüsse aber kommen eher von der deutschen und der belgisch-französischen Schule.. Ich habe mich immer als Kosmopolit gesehen. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Idee der nationalen Schulen nach und nach verschwindet. Alles wird kosmopolitischer und die jungen Musiker von heute werden von vielen verschiedenen Schulen und Stilen beeinflusst.

Isaac Stern

Sie hatten als Teenager das Glück, von Isaac Stern unterrichtet zu werden? Was hat er ihnen mit auf den Weg gegeben?
Ja, das war in Israel. Als wir nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Jerusalem ausgewandert sind, war das zuerst einmal ein Schock für mich. Alles war anders, ich konnte selbstständig Entscheidungen treffen, überhaupt war die Haltung allem gegenüber eine ganz andere. Damit musste ich als Teenager zuerst einmal klarkommen. Wir waren knapp zwei Wochen in Jerusalem, da hörte ich, dass Isaac Stern sich junge Musiker anhörte. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und bin einfach hingegangen und habe ihm vorgespielt. « Höre nie auf zu hören.“ Ach, Stern hat mir so viel Wesentliches mit auf den Weg gegeben, aber eigentlich wenig wirklich Konkretes. Für ihn stand hinter der Musik immer der Mensch. Diesen Humanismus, dieses ewige Suchen nach der musikalischen Wahrheit, diese Integrität, das waren die Merkmale, die auch sein Spiel ausmachten. Wenn ich als junger Musiker zu ihm kam und gesagt habe: « Herr Stern heute habe ich es“, dann hat er geantwortet:  « Dann suche jetzt das, was Du nicht hast.“ Für ihn war Musikmachen eine ständige Suche, nie stehen bleiben, immer neue Wegen und Türen finden. Und sein Credo war: « Was können wir besser machen?“ Diese Haltung  hat mir später in Amerika bei meinen Lehrerin Arkady Fomin und Dorothy DeLay sehr geholfen.

Sie sind auch für ihren Einsatz für zeitgenössische und moderne Musik bekannt. Ist es da oft nicht schwierig auszuwählen, was man spielt und welchem Komponisten man sich zuwendet?
Natürlich gibt es sehr viele zeitgenössische Komponisten und noch viel mehr zeitgenössische Werke. (lacht) Natürlich kann ich nicht alles spielen, was mir zugetragen wird. Aber eigentlich, ist es sehr einfach, eine Auswahl zu treffen. Mein wichtigstes Kriterium: « Spricht die Musik mich an?“ Ein Werk kann noch so gut komponiert sein, wie es will, wenn die Musik nicht zu mir spricht, dann werde ich es nicht spielen. Es ist wie im Restaurant. Das Menü kann noch so hervorragend zubereitet sein, wenn es mir nicht schmeckt, dann werde ich es nicht essen. Ich denke, wir alle, Musiker und Hörer sollen uns auf unser Gefühl verlassen, und Spaß an dem haben, was uns berührt. Und es ist ganz ok, wenn man nicht alles mag.

Vadim Gluzman
(c) Marco Borggreve

Sie spielen die legendäre Ex-Leopold Auer Stradivari von 1690. Sind diese Instrumente denn wirklich besser als die neuen? Und wenn ja, warum?
In der Musik gibt es immer wieder Phänomene, die man nicht erklären kann. Nehmen wir Odessa, wo es zeitgleich in einem gewissen Raum eine Großzahl erstklassiger Musiker gibt. Warum dort und nicht woanders? So ist es auch mit den Instrumenten. Ihr Geheimnis besteht einerseits in dem verwendeten Holz, was damals, also im 17. und 18. Jahrhundert von einer Reihe von Instrumentenbauern wie Antonio Stradivari, Giuseppe Guarneri de Gesu oder Nicola Amati benutzt wurde und dem handwerklichen Können die Meister. Wobei Stradivari und Guarneri bei Amati gelernt haben. Ihre Instrumente sind heute unbezahlbar. Die teuerste Stradivari, glaube ich, kostet um die 4 Millionen Euro, die teuerste Guarneri über 16 Millionen. Das kann sich kein Musiker leisten. Auch mein Instrument ist eine Leihgabe und wird mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Sie gehörte einst dem Pädagogen und Violinisten Leopold Auer, der der Lehrer von Heifetz, Elman oder Milstein war. Vor mir hat Leonidas Kavakos darauf gespielt.

Kann man ihren Klang beschreiben?
Für mich ist sie das ideale Instrument, um meine Gefühle damit auszudrücken. Sie ist die Verlängerung meines Körpers und meiner Seele. Die Ex-Leopold Auer hat einen sehr noblen, runden  Klang, eine unwahrscheinliche Farbenpalette und einen sehr kräftigen Ton. In einem Interview sagte ich einmal, dass dieses Instrument mich fünfzehnmal schneller laufen und fünfzehnmal tiefer tauchen lässt. Als ich zuerst auf diesem Instrument gespielt habe, da  wusste ich, dass mein Leben sich verändert hatte.

Wenn sich jetzt Länder wie die Ukraine oder Israel, die ja ihre Heimat waren, im Krieg befinden, wirkt sich das auch auf Ihre Interpretation, Ihren Zugang zu den Werken aus?
Interessante Frage. Ich denke, dass meine Interpretation, also die Auseinandersetzung mit dem Werk nicht direkt davon beeinflusst werden. Allerdings reagiere ich natürlich auf Mensch auf das Schreckliche, das in der Ukraine und in Israel passiert. Und das macht etwas mit mir, es verändert mich. Und diese Veränderung fließt natürlich mit in mein Spiel ein. Als John F. Kennedy ermordet wurde, sagte Leonard Bernstein anlässlich eines Konzerts. « This will be our reply to violence: to make music more intensely, more beautifully, more devotedly than ever before.“

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