Mit Luciano Berios ‘Sinfonia’, Maurice Ravels ‘La Valse’ und ‘Notations’ von Pierre Boulez stellen Ludovic Morlot und das ‘Seattle Symphony’ Beziehungen her, die sich durch die Musik erklären. Berio zitiert in seinem Werk u.a. aus ‘La Valse’ und auch, wenn auch nicht aus ‘Notations’, dann doch aus ‘Pli selon pli’.
Morlot unterstreicht darüber hinaus, dass diese drei Komponisten von der Wiener Tradition inspiriert wurden, Berio von Mahler, Boulez von Schönberg, Ravel von Johann Strauss.
Berios ‘Sinfonia’ zitiert aber nicht nur Ravel und Boulez, sondern auch – und sogar viel ausgiebiger – aus Mahlers ‘Auferstehungssymphonie’, die Material für das Zentralstück der ‘Sinfonia’ liefert, den 3. Satz, ‘In ruhig fließender Bewegung’.
Neben weiteren Komponisten klingen auch Beethoven und Stravinsky auf, genau wie Texte von Claude Lévi-Strauss und Samuel Beckett, aber letztlich sind die Texte gar nicht so wichtig, denn die Essenz der Musik ist der Zusammenklang. Und als Hörer ist man ohnehin sehr damit beschäftigt, sich mit den Seilen zu beschäftigen, die das Orchester einem zuwirft und die man zuzuordnen versucht.
Morlot dirigiert sein Orchester sowie das ‘Vocal Ensemble Roomful of Teeth’ in einer äußerst spannenden und packenden Interpretation, deren Energie und Klanglichkeit faszinieren.
Die ‘Notations I-IV’ kommen aus den 12 Klavierstücken ‘Notations’, die Boulez 1945 als Zwanzigjähriger komponierte, zwölf Stücke zu zwölf Takten à zwölf Tönen. Über dreißig Jahre später wurden diese Miniaturen die Keimzellen für das gleichnamige Orchesterwerk, das für Ausführende wie für Hörer eine Herausforderung ist. Intellektualistisch komplex, zum Teil aggressiv und orchestral überwältigend, manchmal auch melancholisch, ist es in einem Durchhören gewiss nicht zu erfassen. Aber die pulsierende und spannungsvolle Art, wie Morlot diese ‘Notations’ dirigiert, hilft doch viel, um die vier Stücke zu verstehen.
Nachdem mir durch die Warner-Veröffentlichung vor kurzem wieder Bernsteins sensuell-mystische ‘La Valse’ in Erinnerung gerufen wurde, fällt auf, wie unterschiedlich Auffassungen doch sein können. Morlots ‘La Valse’ ist gar nicht so sensuell, viel realistischer und mit LED-Licht beleuchtet, im Grunde weniger französisch als wienerisch, und beschwipst dazu. Diese ‘Valse’ könnte man fast in der Gefängnisszene mit Frosch in der ‘Fledermaus’ einbauen.