(1) Die in einem venezianischen Waisenhaus aufgewachsene Anna Maria dal Violin wurde von Antonio Vivaldi als Geigerin sehr geschätzt. Sie lebte und arbeitete im ‘Ospedale della Pietà’, wo Vivaldi als Lehrer ihr Mentor wurde und mehr als zwei Dutzend Concerti für sie schrieb. Midori Seiler und ‘Concerto Köln’ widmen ihr die CD ‘La Venezia di Anna Maria’.
Im Pressetext heißt es: « Anna Maria hat in ihrem Performance Book eine große Anzahl der Konzerte, die sie in der Chiesa dell’Ospedale spielte, notiert. Sie haben glücklicherweise überlebt und so tragen diese 160 Notenblätter ihre Handschrift in mehr Sinne als einer. Wir sehen nicht nur die Noten, als sie sie transkribierte, sondern auch ihre eigenen Ornamente. Und sie beleuchten, wie sie und ihre Zeitgenossen Geige spielten, und eröffneten von heute an eine musikalische Tür in das Venedig vor fast drei Jahrhunderten. »
Vier der für Anna Maria komponierten Concerti sind auf diesem Album zusammen mit anderen Werken des Prete Rosso und je einem Konzert von Galuppi und Albinoni zu hören.
‘Concerto Köln’ spielt mit einem satten, vollen und warmen Klang, von dem sich Midori Seilers fein klingendes Geigenspiel gut abhebt. Doch dieses Spiel ist nicht nur fein und elegant, es ist auch höchst gefühlvoll und voller Poesie, wovon die langsamen Sätze besonders profitieren und entsprechend bewegend werden. Das vorzüglich ausbalancierte ‘Concerto Köln’ bleibt da nicht zurück, was dann ein sehr stimmungsvolles und rhetorisch ansprechendes Programm ergibt.
(2) Die Ospedale in Venedig waren Heime für Mädchen, die als Neugeborene in der ‘Kinderklappe’ abgegeben wurden; sie konnten dann mitunter ein Leben lang dort bleiben. Sie erhielten eine gute Ausbildung und mussten im Osdepale, jede nach ihren Fähigkeiten, arbeiten. Eine Betätigung war die als Musikerin. Der Ruf der Ensembles, seien es Chöre oder Orchester, war so groß, dass Reisende extra deswegen nach Venedig kamen und auch berühmte Komponisten dort unterrichteten bzw. für die Künstlerinnen komponierten.
Eine außergewöhnlich bekannte Künstlerin war Anna Maria dal Violin aus dem Osdepale della Pietà. Der Name kennzeichnet sie als Geigerin. Sie inspirierte mindestens ihren Lehrer, keinen geringeren als Antonio Vivaldi, zu mindestens 25 Violinkonzerten. Da sie ein Spielbuch führte, kann man vieles nachvollziehen. Dazu gehören auch die von ihr gespielten Verzierungen.
Auf den Spuren dieser Anna Maria bewegen sich Midori Seiler und ‘Concerto Köln’ mit der Doppel-CD, in der sieben Werke des roten Priesters sowie jeweils eines von Albinoni und Galuppi, die den Ospedale ebenfalls verbunden waren, vorgestellt werden.
Weitgehend gemein ist den Werken der äußere Aufbau, so in der Satzfolge schnell-langsam-schnell. Auffallend sind die Experimente innerhalb dieses Rahmens, die bei Vivaldi etwa harmonische Abweichungen bedeuten. So war es ihm wichtiger, einen Effekt zu erzielen als der Form zu gehorchen. Das äußert sich etwa in dissonanten Momenten, was durch die Aufzeichnungen des Spielbuchs belegt wird.
Midori Seiler ist eine exquisite Geigerin, die sowohl als Konzertmeisterin und als auch als Solistin einen ausgezeichneten Ruf genießt. Sie bewältigt mit Leichtigkeit die Herausforderungen dieser Konzerte, die so leicht klingen müssen und doch auch gern so schwer von der Hand gehen. Ihr Spiel ist ausdrucksstark, aber nicht aufgesetzt. Mit dem ‘Concerto Köln’ hat sie einen mehr als nur verlässlichen Partner, das mit seinem eloquenten und versierten Spiel auch hier wieder seine Klasse beweist.