In der Kategorie Video-Opera hat die ICMA-Jury eine Produktion ausgezeichnet, um die sich die Kritiker schon mal heftig gestritten haben: Die Fledermaus, inszeniert im Dezember 2023 in München von Barrie Kosky, mit Vladimir Jurowski am Pult sowie Sängern wie Diana Damrau, Georg Nigl, Martin Winkler und Katharina Konradi in den Hauptpartien des ikonischen Strauss-Werks. Jury-Mitglied Anastassia Boutsko (Deutsche Welle) hat Vladimir Jurovski – stellvertretend fürs Ensemble und Label – persönlich in München gratuliert und einige Fragen gestellt.

Vladimir Jurowski

Haben Sie sich über die ICMA-Auszeichnung gefreut?
Es hat mich schon sehr erstaunt, weil es gab ja nicht nur positive Kritiken für diese Produktion. Es gab auch Schelte, auch in Richtung Musik. Gerade die Münchner Kritiker schienen sich überhaupt nicht an der Art und Weise zu begeistern, wie ich Johann Strauss Musik versucht habe zu deuten. Ich habe manchmal das Gefühl, sie schweben in Erinnerungen an die längst vergangenen Zeiten, ohne tatsächlich noch zu wissen, wie das nun wirklich war.
Ich bin mit der Carlos Kleibers Aufnahme aus München groß geworden. Und ich habe sein Orchestermaterial studiert, wir spielen ja nach diesem Material. Ich kenne wirklich jeden Ton, was er wie wo gemacht hat. Aber ich mache natürlich einige Sachen anders, aber meine Deutung ist definitiv und bewusst an die von Kleiber angelehnt.

Ich muss sagen: auch wir als Kritiker und Musikjournalisten waren ziemlich erstaunt, als ein Vladimir Jurowski, Fachmann für Rares, Neues, für Musik des 20.Jahrhunderts plötzlich eine Fledermaus machte. Man hätte auch fragen können: Welcher fröhliche Teufel hat Sie und Barrie Kosky (der sich ja auch lange dagegen sträubte, eine Operette zu inszenieren) geritten? War es dem nähernden großen Strauss-Jubiläum 2025 geschuldet?
An das jubilarische Datum habe ich überhaupt nicht gedacht, es ist mir erst vor kurzem aufgefallen. Barrie Kosky und mir ging es einfach darum, hier in München nach dem sehr erfolgreichen Rosenkavalier, den wir mit Barrie 2021 gemeinsam ‘verbrochen’ haben, einfach eine weitere heilige Kuh zu schlachten.
Und es ist tatsächlich so, dass ich dieses Stück heiß und innig liebe und das seit mittlerweile fast drei Jahrzehnten dirigiere. Meine erste Fledermaus habe ich in Berlin im Alter von 25 Jahren an der Komischen Oper dirigiert. Das war die Produktion von Harry Kupfer, die ich damals übernommen habe. Einstudiert hat das mein damaliger Chef Jacob Kreuzberg. Dann habe ich im Jahr 2003 eine eigene Neuproduktion der Fledermaus in Glyndebourne initiiert. Schließlich gab es noch eine Fledermaus in Paris an der Opéra Bastille…
Und ja, ich bin zwar kein versierter Operettendirigent, aber Fledermaus muss einfach unbedingt sein. Ohne Fledermaus kann ich mir mein Leben als Musiker kaum denken.

Aber warum? Was macht für Sie die Fledermaus aus – musikalisch und inhaltlich? Warum ist diese Gesellschaftssatire, vor 150 Jahren geschrieben, heute noch interessant?
Na ja: das ist eine der bösesten Satiren, die es gibt. Denn es auf den ersten Blick ist ein Stück ohne wirkliche Sympathieträger oder Trägerinnen. Die sind alle irgendwie korrupt und benehmen sich alle irgendwie daneben, sind aber andererseits gleichzeitig wahnsinnig liebenswürdig und am Ende dennoch sympathisch. Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer vielen menschlichen Mängel.
Aber neben dieser satirischen Oberseite gibt es diese wirklich göttliche Musik, die teilweise an Mozart und Schubert erinnert und andererseits sehr viel mit Offenbach gemein hat. Es ist eine Art wienerische Antwort auf den Offenbach. Eine musikalische Komödie mit Tiefgang, würde man sagen.

Wo sehen Sie diesen Tiefgang?
Also die Geschichte ist das, was sie ist: Die ist böse, die ist zynisch, die ist lieblos, und zwar total lieblos, aber dafür mit der Erwartung der Lust erfüllt. Man kann diese Lust regelrecht riechen. Alles ist von menschlichen Hormonen angereichert, und zwar männlichen und weiblichen.
Aber die Musik – Die Musik hat tatsächlich einen Tiefgang! Und das ist das Wunder von Johann Strauß. Er schreibt lauter böses oder leichtsinniges Zeug, aber mit einer Musik, die man im Himmel gern hören möchte, wenn man einmal im Himmel gelandet ist. Mein Lehrer sagte immer: „Wenn ich sterbe und in den Himmel gehe, dann hoffe ich, dort täglich Johann Strauss Musik hören zu dürfen!“

..und vielleicht trifft er da, im Musikerhimmel, mal auch Johann Strauss persönlich. Was macht für Sie diesen Komponisten aus?
Johann Strauss der Sohn Ist einerseits eine Randfigur am klassischen musikalischen Firmament unserer Zeit. Im 19.Jahrhundert andererseits war er eine der zentralen Figuren. Wir wissen, dass er von illustren und weltberühmten Komponisten verehrt und beneidet wurde – nicht nur um Erfolg, sondern um seine Musik. Und dazu gehören Leute wie Wagner, Brahms oder Liszt.

Vladimir Jurowski

Was ist für Sie Geheimnis seines Erfolgs?
Die Qualität seiner Musik! Niemand war so genialisch wie Johann Strauß. Und er hat in sich auch die ganzen musikalischen Entwicklungen, die parallel verliefen, aufgesogen. Es gibt Stücke von ihm, die auf Themen von Offenbach, von Verdi, ja sogar von Wagner basieren. Und die russische Musik hatte er auf jeden Fall mitbekommen, Berlioz und all das. Aber er blieb immer er selbst.
Also für mich ist das so eine Figur, vergleichbar mit einem George Gershwin im 20. Jahrhundert: jemand, der einen eindeutig persönlichen Weg einschlägt und gleichzeitig aber die ganzen Entwicklungen durchaus mitbekommt. Ich meine:  Gershwin war auch mit dem ganzen Schönberg-Kreis sehr wohl bekannt sowie mit einem Rachmaninov oder Stravinsky. Aber er hat selber nie versucht, wie die anderen Großen zu komponieren, sondern komponiert einfach seine Musik und hatte damit Erfolg.

Wir sprechen hier in München in den ersten März-Tagen, während die Weltpolitik sich in eine einzige absurde Theaterlandschaft zu verwandeln scheint. Mit welchem Gefühl gehen Sie heute in den Orchestergraben?
Ja mit demselben Gefühl, wie ja schon lange oder immer wieder: Die Welt ist in einer prekären Lage. Der Mensch ist schlecht. Aber wir müssen etwas tun, um dem Tag zu einem positiven Ausklang zu verhelfen und den Menschen einfach ein bisschen Hoffnung, ein bisschen guter Laune zu schenken.

Themenwechsel: Hören Sie noch selbst CDs?
Ich habe sehr viele CDs und LPs, die bemessen sich tatsächlich in Hunderten und vielleicht sogar in Tausenden. Und ich habe auch einen sehr guten Plattenspieler und einen Lampenverstärker. Und wenn ich dann tatsächlich Zeit habe und zu Hause bin, dann mache ich diesen Verstärker an und warte dann so 30-40 Minuten, bis er warm anläuft. Und dann höre ich mir alte Platten an, aber dann tatsächlich Schallplatten, manchmal sogar Schellackplatten.

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