Das Orchestre Philharmonique du Luxembourg (OPL) hat am Dienstag sein erstes Konzert der neuen Saison in der Philharmonie genutzt, um Teile des Programms für seine unmittelbar anstehende Südamerika-Tournee zu präsentieren. Ob diese Generalprobe geglückt ist, hat Uwe Krusch für Pizzicato gehört.
In der vorhergehenden Auftaktveranstaltung für die Presse hatte Gimeno darauf hingewiesen, dass auf so einer Tournee neben vielen organisatorischen Anforderungen auch große positive Effekte auftreten. So gehört dazu das völkerverbindende Element, dem das Orchester mit Auftritten etwa auch in einer Favela in Buenos Aires ebenso Raum gibt wie dem eigenen Plaisir mit einem Auftritt im geschichtsträchtigen Teatro Colon. Doch auch die menschlichen Beziehungen im Orchester erfahren durch so eine Tournee seiner Meinung nach positive Schübe, weil die Musiker längere Zeit zusammenbleiben und dadurch auch musikalisch besser zueinander finden. Insofern wäre es reizvoll gewesen, das Konzert jetzt und nach der Tournee nochmals in Luxemburg zu hören, um die Unterschiede feststellen zu können.
Eröffnet wurde der Abend mit der Ouvertüre ‘Die Zauberharfe’ von Franz Schubert. Wieder einmal bewies das Orchester, dass es sich technisch auf der Höhe befindet und in Gustavo Gimeno einen sicheren Kapitän auf dem Kurs hat. Wenn man diese Metapher auf den Kapitän eines Segelschiffs bezieht, dann ist immer die Frage, mit welchen Wetterbedingungen er umgehen kann. Mit Leicht- oder Starkwind, mit Strömungen und Wellen, oder ob er in jeder Lage das Schiff nicht nur sicher, sondern auch mit dem besten Kurs steuert. Darüber konnte man sich gleich bei den einleitenden Akkorden der Ouvertüre Gedanken machen. Beim ersten Höreindruck, und bekanntlich kann der erste Eindruck der Beste sein, klang dieser Schubert schwer und kraftvoll wie Brahms. In den kleiner besetzten, also kammermusikalisch geprägten Abschnitten, gelang es dann, auch eine leichtere Lesart darzustellen. Aber alles in allem fehlte das Feenhafte und Luftige, was sich bei herausragenden Interpretationen der Werke dieses Komponisten hören lässt und Gimeno beließ es bei einer handfesten Deutung.
Das Solokonzert des Abends war ersatzgeprägt, aber nicht ersatzgeschwächt. Janine Jansen, die das Tchaikovsky-Konzert in der Philharmonie und auch auf der ersten Tournee des Orchesters nach Südamerika neben dem von Mendelssohn spielen wollte, hatte erkrankt komplett absagen müssen. Ihre junge Landsfrau, Simone Lamsma, deren ersten CDs hier lobend vorgestellt wurden (Rezension 1, Rezension 2), sprang ein und übernimmt auch Auftritte auf der Tournee, wo sie vereinzelt von Julian Rachlin abgelöst wird. Die Solistin konnte mit frischem Spiel und einer insgesamt guten Anlage der Interpretation überzeugen. Sie nimmt sich gestalterische Freiheiten, ohne aber in süßliche Klischees zu verfallen. Ihre Intonation kann ebenso überzeugen. Bei aufmerksamem Zuhören war zu erkennen, dass im Detail noch deutliche Möglichkeiten der Steigerung bestehen. Manche Tongirlanden klangen etwas verhaspelt, manche Akzentuierungen wurden zu sehr pressiert, so dass sie sich nicht in die Umgebung einfügten.
Wie aber funktionierte das Zusammenspiel mit dem Orchester? Wegen des kurzfristigen Einspringens könnte die Abstimmung Einschränkungen unterlegen haben. Davon war nichts zu merken. Das klappte problemlos, weil möglicherweise Gimeno als Schlagzeuger sicher auf rhythmische Veränderungen reagieren kann. Wie aber hörte sich die musikalische Ausgestaltung an? Ein Problem des schlagbetonten Dirigats ist eine auf Präzision und Struktur gerichtete Sicht, die die Linienführung gerade in einer solch stimmungsbetonten romantischen Komposition nicht direkt unterstützt. Deshalb wurden keine großen Bögen ausformuliert, sondern es blieb bei der Darstellung kleiner, wenn auch feiner Mosaikteilchen.
Die Solistin gab dann noch einen Satz von Bach zu, bei dem sie sich gestalterisch nicht auf die bei seinen Werken angelegte Stringenz des zeitlichen Ablaufs fokussierte, sondern sich Freiheiten nahm, was zumindest nicht dem Ideal des Rezensenten entspricht.
Der Eindruck, der bei Tchaikovsky entstanden war, setzte sich bei der abschließenden Ersten Symphonie von Johannes Brahms nahtlos fort. So komponiert Brahms die ersten acht Takte dieser Symphonie unter einem einzigen langen Gestaltungsbogen in den Geigen, anders als bei den Bläsern, wo er ein- bzw. zweitaktige Bindungen vorsieht. Zwar wird man zugeben müssen, dass die ganze Linie der acht Takte technisch kaum auf einem Bogen darstellbar ist. Aber die gewünschte Linie aus einem langen oder wenigen langsamen Bogenstrichen wurde durch die taktweisen Bogenwechsel in den Geigen über die gesamte Bogenlänge eher konterkariert als umgesetzt. Dadurch entstand ein ganz anderer Einstieg in das Werk, der die gesamte Anlage beeinflusst.
Wie schon bei Tchaikovsky kam es auch bei Brahms wieder zu fein ausmusizierten Stücken. Aber die Bögen, die diese Musik erst zum Leben bringen, entwickelten sich so nicht. Das deckt sich mit dem Dirigat, das erst im vierten Satz einmal zaghaft eine Linie mit der linken Hand andeutete. Was mir auch fehlte, war das Drängende, vor allem Fließende in der Musik, durch das erst der Antrieb dieses wunderbaren Werkes hörbar wird. So, wie es dann erklang, hatte man den Eindruck, Gimeno wollte den schweren Schritt Beethovens, den Brahms immer im Nacken spürte, zum Klingen bringen. Das drückte sich auch dadurch aus, dass er Abschnitte immer zum Abschluss brachte und dann neu ansetzte, wie in einer Bruckner Symphonie, anstatt nach vorne spielen zu lassen und so einen Sog zu erzeugen, was die Symphonien von Brahms auszeichnet. Das zeigte sich auch in seiner entspannt wirkenden Körperhaltung, die kein Streben nach vorne anzeigte.
Wenn auch das OPL hier zu Hause ist und üblicherweise keine Zugabe gibt, hatte es diesmal einen slawischen Tanz von Dvorak vorbereitet, den es sicherlich auch auf der Tournee präsentieren wird. Vielleicht entwickeln sich die Dinge und Sichten auf die Werke während der Tournee noch weiter, so dass wir hinterher zu manchen Anmerkungen keinen Anlass mehr gehabt hätten.