Sie haben Ihre Fassung von Tristan und Isolde als Paraphrase für Streichseptett angelegt, wie kam es zu dieser Idee und warum ausgerechnet Wagners Tristan und Isolde?
Während des ersten Lockdowns durfte man in Bayern zwar kein Konzert spielen, wohl aber eine Demonstration ausrichten, auf der musiziert wurde. Genau das haben wir dann als Ensemble getan, in Murnau am Staffelsee. Es entstand die Idee Corona-konform ‘Große Musik im kleinen Format“’ zu präsentieren. So durften wir im ersten Corona-Sommer 2020 gemeinsam mit Klaus-Florian Vogt und Camilla Nylund als Streichsextett Auszüge aus Wagners Lohengrin im Rahmen der Bayreuther Festspiel-Alternative aufführen. Das Konzept der ‘Pocket Opera’ kam so gut an, dass mein Kompagnon Stephan Knies als bekennender ‘Tristan-Nerd’ vorschlug Tristan und Isolde für Streichsextett zu arrangieren.
Wie sind Sie an die Bearbeitung herangegangen, haben Sie sich mit dem Orchestersatz beschäftigt und versucht die Klangfarben auf die Streichsextettbesetzung zu übertragen? Was waren die besonderen Herausforderungen dabei?
Ich habe mich von der Klangsprache Wagners mitreißen lassen! Ausschnitte, die ich für ein Kammerensemble für geeignet hielt, habe ich dann aus der Partitur heraus schrittweise so arrangiert, dass harmonisch und melodisch möglichst wenig verloren ging. Der Anspruch an ein Streichsextett ist natürlich nicht, wie ein volles Opernensemble zu klingen. Diese Paraphrase soll und darf als musikalisch eigenständig wahrgenommen werden: mit eigenen Farben und auch einer flexibleren Herangehensweise an Dynamik, Tempi und Klangbalance.
Bei der Arbeit habe ich dann mehrfach wunderbare Melodiestimmen im Orchestersatz entdeckt, die üblicherweise im Orcherstergraben etwas untergehen. Eine besondere Entdeckung war hier Brangänes ‘Einsam wachend in der Nacht’ aus dem 2. Aufzug. Umso schöner, dass wir in dieser Fassung die Gelegenheit haben, die Oper mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten! Wagners Frau Cosima schrieb nicht umsonst, dass Tristan und Isolde die Oper sei, in der « Richard sich einmal ganz symphonisch geben wollte ».
Wagner steht stets auch für einen massiven Blechbläserklang, geradezu sprichwörtlich sind die Wagnertuben geworden. Wie haben Sie versucht, den Klang der Wagnerschen Blechbläser auf eine reine Streicher-Besetzung zu übertragen?
Tristan und Isolde ist im Vergleich zu Wagners anderen Opern an vielen Stellen streicherlastig wie beispielsweise in dem ganzen Vorspiel zum 1. Aufzug oder in weiten Teilen des Liebesduetts im 2. Aufzug. Die Blechbläser-Fanfaren am Ende des 1. Aufzugs oder im 2. Aufzug habe ich unisono gesetzt, um diese massiver klingen zu lassen. Aber auch hier hat das Streichseptett nicht den Anspruch wie ein Blechbläsersatz zu klingen, sondern steht als eigenständige Interpretation von Wagners Oper.
Das Streichsextett bzw. Septett ist eine nicht unbedingt häufig anzutreffende Besetzung. Ist es die Standard-Besetzung Ihres Solistenensembles d’Accord? Oder treten Sie bei anderen Anlässen auch in anderen Besetzungen auf?
D`Accord hat konzertiert in variabler Besetzung. Schwerpunkt sind größer besetzte Werke von den Brandenburgischen Konzerten, Vivaldis Jahreszeiten, den gängigen Streichsextetten und -oktetten von Brahms, Mendelssohn und Schönberg hin zu eigenen Programmen unter dem Motto ‘Große Musik im kleinen Format’. Der Fokus lag in den letzten Jahren auf den Wagner-Arrangements von Tristan und Isolde, Tannhäuser und Lohengrin. Die Tristan-Paraphrase entstand ursprünglich als Streichsextett. Mitglieder des Iceland Symphony Orchestra wurden darauf aufmerksam und wollten dies im renommierten Konzertsaal Harpa in Reykjavik spielen. Auf die Frage, ob es auch eine Fassung mit Kontrabass gäbe, entstand die Streichseptett-Fassung, die dem symphonischen Klanggestus Wagners noch näherkommt und in der vorliegenden Aufnahme erklingt
Wie kam es dazu, dass die Tristan-Paraphrase dann gleich im kleinen Saal der Hamburger Elbphilharmonie aufgeführt wurde?
Nach unseren Wagner-Erfolgen in Bayreuth lag es nahe, die Große Oper im kleinen Format auch in die Elbphilharmonie zu bringen. Unter der Schirmherrschaft des Internationalen Richard-Wagner-Verbands durften wir dort den Tristan 2021 als Sextett, 2023 als Septett aufführen.
Ihr Ensemble existiert, wie ich seiner Website entnehme, bereits seit 2014. Warum haben Sie sich neun Jahre Zeit gelassen mit der Aufnahme eines Albums?
Im Jahr 2014 wurde das ‘D`Accord, das Klassikfestival’ in Mittelfranken gegründet, um besondere Kammermusikprogramme in hochkarätiger Besetzung zu erarbeiten und im Rahmen des einwöchigen Festivals aufzuführen. In den Folgejahren gingen die D`Accord-Produktionen auf Tournee, das ‘Solistenensemble D`Accord’ entstand. Mit der Idagio-Videoproduktion aus Wahnfried 2021 und Anfragen aus Island und Los Angeles war klar, dass die Wagner-Paraphrasen ein populäres und zukunftsträchtiges Format sein können. Eine hundertste Aufnahme von Standard-Repertoire einzuspielen machte für uns wenig Sinn; umso mehr freuen wir uns mit unserer Tristan-Paraphrase eine Erstaufnahme und Repertoireerweiterung vorzulegen und mit unserer gesamten Ensemble-DNA voll und ganz dahinter zu stehen. Ein großer Dank gilt hier auch Neustart Kultur für die großzügige Förderung!
Was bedeutet für ein junges Ensemble wie das Solistenensemble d’Accord heute noch so eine Aufnahme, speziell eine CD. Ist das für Ihre Generation noch etwas Besonderes? Und wenn ja: Worin besteht der besondere Reiz?
Natürlich ist das besonders. Es ist eine Referenz der eigenen Arbeit. Dass sich mit Coviello Classics ein sehr renommiertes Label dafür interessiert hat, ist eine Auszeichnung. Und heute sagt man ja wieder Album statt CD, denn die Streaming-Portale werden ja immer wichtiger.
Im Nachgang der Corona-Pandemie stellt sich nun an vielen Stellen heraus, dass sich die Klassik-Welt gewandelt hat. An vielen Konzerthäusern ist das Publikum zum Beispiel nicht im einstigen Umfang zurückgekehrt. Manche sprechen bereits wieder von einer Krise des Konzertbetriebs. Wie nehmen Sie das wahr, und wie entgegnen Sie diesem Trend, falls er einer sein sollte.
Nach unseren Konzerten kommen die Zuhörer vielfach zu uns und erklären, dass sie nicht gedacht hätten, dass eine Wagner-Oper so viel Spaß machen kann. Auch Wagner-Kenner entdecken hier Neues. Unsere Auftritte in der Elbphilharmonie waren jeweils ausverkauft. Eine wichtige Rolle spielt auch die Moderation, das hören wir immer wieder. Die soll künstlerisch sehr ernsthaft sein, dabei aber locker oder auch mal witzig. Teilweise übernehmen diese renommierten Sprecher wie Axel Brüggemann, Holger Wemhoff, Sascha Nathan oder Frederic Böhle. Wenn das Format stimmt, kommt auch das Publikum…
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Ensembles wie Ihres in der heutigen Zeit und sehen Sie auch in Umarbeitungen bekannter Stücke eine Chance, um neue Publikumsschichten für sich zu interessieren?
Für unseren Tristan war das ganz sicher der Fall. Sowohl Publikum als auch Kollegen waren begeistert. So freut es uns besonders, dass der Tristan bereits in den Kammermusikreihen des Iceland Symphony Orchestra und des Los Angeles Philharmonic Orchestra in der Walt Disney Music Hall gespielt wurde.
Die größte Herausforderung ist sicher, das Publikum abzuholen und mitzunehmen. Viele Menschen sind grundsätzlich offen für klassische Musik, vermeiden aber den Gang ins konventionelle Konzert. Durch besondere Konzert-Orte, neue Formate und Moderation öffnet man Türen, die neugierig auf Mehr machen.