Das fast zweieinhalbstündige Ballett ‘Romeo und Julia’ nach Shakespeares Drama zählt zu Prokofievs bekanntesten und meistgespielten Werken. Für die Interpreten ist es ein herausforderndes, aber auch sehr schön zu spielendes Stück Musik. Für das Publikum zeichnet es sich durch ein moderat neues Klangbild aus, das die Ohren dezent kitzelt und vielfach auch mit der fantasievollen Instrumentation und Themenbildung verwöhnt.
Der Katalog an Aufnahmen dieser wunderbaren Musik ist nicht gerade klein. Deshalb ergibt sich die Frage, ob eine weitere nötig ist, etwa weil sie eine andere Sicht eröffnet. Wie schon eine Aufnahme Ende 2016 hat auch Marin Alsop zusammen mit ihrem Baltimore Symphony Orchestra, dem sie noch bis 2021 vorstehen wird, eine Deutung gewählt, die die Nuancen deutlich erhörbar macht. Dabei wird der musikalische Ablauf ganz natürlich und fließend entwickelt, so dass man sich sehr gut vorstellen kann, dass sich dazu Tänzer bewegen können. Denn es ist ja ein Ballett und das sollte auch bei der Interpretation eine Rolle spielen. Wenn man zum Beispiel die fast drei Jahrzehnte alte Aufnahme des Orchesters des Mariinsky Theaters, damals noch als Kirov Orchester firmierend, mit Valery Gergiev dagegen setzt, so zeichnet sich diese durch stark hervorgehobene Akzentuierungen und strahlende Momente aus. Hört man nur diese Aufnahme, ist sie einnehmend durch ihre vordergründige Brillanz.
Hält man die neue Aufnahme daneben, dann zeichnet diese sich durch fein ausformulierte und in mildes Licht getauchte Pastellfarben aus. Das hindert Alsop nicht, auch Höhepunkte darzustellen, aber eher als Kuppen denn als Spitzen.
Vielleicht leuchtet diese Sicht einzelne Augenblicke nicht so exzellent aus. Aber mittägliches Sonnenlicht lässt zwar alles erstrahlen, blendet damit aber auch. Währenddessen lässt milderes Abendlicht Schattierungen und Konturen besser hervortreten und zaubert so ein abwechslungsreicheres Panorama.