Shostakovichs Vierte Symphonie gilt als eines der erschütterndsten und tragischsten Werke des Komponisten. Nelsons jedoch dringt kaum in die Komposition ein. Er beschränkt sich auf die äußere Klanglichkeit der Musik, bleibt also an der Oberfläche, interessiert sich für den Ideenreichtum Shostakovichs, für die Polyphonie, für die brillante Orchestrierung und die Virtuosität der Musik sowie, in den langsameren Teilen, für das Reflektive.
Das Orchester kann zwar die Musik plastisch und detailreich darstellen, aber es fehlen das Groteske und auch das direkt Humoristische, es fehlen die Differenzierung und damit der Auf- und Abbau von Spannungen sowie durchgehend jene Tiefe – und damit die Dimension der Tragik – die in den Einspielungen von Dmitrij Kitajenko, Simon Rattle oder Mstislav Rostropovich zu hören ist.
Die Elfte Symphonie beginnt etwas enttäuschend. Nelsons dirigiert den ersten Satz als sei es ein Notturno. Von der elektrisierend knisternden Spannung, die andere Dirigenten in dieser Musik hörbar gemacht haben, ist in dieser insgesamt wenig differenzierten Musik nichts zu spüren. Der zweite Satz kommt auch viel zu weich und rund daher, sehr spannungsarm und nicht so intensiv, wie man es in anderen Interpretationen erleben kann. Der 3. Satz liegt dem Gefühlsmenschen Nelsons viel besser. Er lässt ihn kantabel-reflektiv spielen. Im vierten Satz, dem Sturmgeläut, ist nicht viel falsch zu machen: hier übernehmen die Bostoner selber von ihrem Dirigenten und überzeugen in einem virtuosen und dramatischen Musizieren. Insgesamt aber ist dies eine weitgehend enttäuschende Elfte Shostakovich.