Händel selbst hatte das Werk noch vor seiner Dubliner Uraufführung am 13. April 1742 verändert und danach immer wieder bearbeitet. Tatsächlich existieren nicht weniger als zehn Fassungen, von denen bekannt ist, dass der Komponist sie selbst aufgeführt hat: Immer wieder musste das Werk den Gegebenheiten vor Ort angepasst werden und variierte bei der Besetzung der Arien und Orchesterstimmen. Vor diesem Hintergrund stellte sich der englische Musikwissenschaftler Malcolm Bruno die Frage, wie denn wohl eine tatsächliche Urfassung aussehen könnte, die er dann für den Verlag Breitkopf & Härtel rekonstruierte. Ziel war, die ursprüngliche Vision zu enthüllen, die Händel von seiner Musik hatte. Die Frühfassung fußt dabei zum einen auf der Dirigierfassung der Uraufführung, die bislang als allererste galt, sowie einer Partitur, die möglicherweise eine Kopie des frühesten Stimmensatzes darstellt. Sie wird in der Bibliothek der St. Patrick’s Cathedral in Dublin verwahrt und ist laut Bruno « einzigartig unter allen anderen Manuskriptkopien des 18. Jahrhunderts“.
Die Erstellung einer neuen kritischen Aufführungsausgabe von Händels Autograph von 1741 war dabei nicht nur eine Frage der Ableitung eines modernisierten Faksimiles aus Händels Manuskriptseiten. Eine der Herausforderungen war eine Rekonstruktion der Bläserpartien, denn obwohl das Autograph sie nicht ausdrücklich erwähnt, ist aus Händels Überarbeitungen ersichtlich, dass die Holzbläser von Beginn an eine wichtige Rolle spielten. In der Frühfassung von 1741 werden die Chorstimmen nun neben den Oboen von zwei Fagotten begleitet, die in späteren Fassungen wieder komplett gestrichen wurden. „Das ist neu und führt zu erstaunlich intensiven Klangfarben, die die Musik tatsächlich neu entstehen lassen“, schwärmt Koch. Einige Arien wurden logisch umbesetzt und erklingen ungekürzt im Da capo. Und auch die wiegende Pifa vor dem zweiten Teil erklingt anders instrumentiert, wodurch sich Streicher und Bläser gegenüberstehen und im Da capo weich miteinander verschmelzen.
« Die Aufnahme stellt dar, wie Händel mit den verschiedenen Möglichkeiten gespielt hat“, erläutert Koch und unterstreicht das Besondere: Ein Stück, von dem man bislang glaubte jede Note zu kennen und mitsingen zu können, hat plötzlich eine neue, dynamische Klanglichkeit, was einem die Ohren für seine Schönheit ganz neu öffnet. « Malcolm Bruno ist quasi auf die Quelle für alle späteren Fassungen gestoßen“, betont Koch, der zu Händels Messiah eine besondere Beziehung hat, gab er doch 2009 mit ihm bei den Frankfurter Domkonzerten sein Debüt als Dirigent auf professioneller Bühne. Dass der heute gefeierte Barockmusiker den Messiah 2021 und 2022 mit jungen Solisten, dem Gutenberg Kammerchor und dem Neumeyer Consort in der herausragenden Akustik der Saulheimer Sängerhalle eingespielt hat, führte ihn also ebenfalls zu einer Quelle zurück. „Die Ersteinspielung des Messiah 1741 hat selbst einem erfahrenen Hörer viel zu bieten“, verspricht Herausgeber Bruno, der sich von dieser Frühfassung erhofft, « dass der Zuhörer die Erfahrung macht, das Werk so zu hören, als ob es zum allerersten Mal aufgeführt würde und als ob die Tinte von Händels Manuskript noch feucht wäre“. Jan-Geert Wolff
Georg Friedrich Händel; Messiah – Early Version 1741; Gutenberg Kammerchor und Neumeyer Consort unter der Leitung von Felix Koch; Viola Blache (Sopran), Stefanie Schaefer (Alt), Fabian Kelly (Tenor), Julian Dominique Clement (Bass); 2 CDs 141‘23‘‘; Rondeau ROP622324