Wenn eine kurze Komposition von Mozart entdeckt wird, sind die Medien voll, auch wenn es nur ein jugendliches Werk ist und musikalisch, na ja, bessere Folgekompositionen gefunden hat. Wenn zwei lange verschollene Werke von zusammen mehr als dreißig Minuten Dauer von Joseph Joachim auftauchen, findet das kaum Widerhall. Nun gut, bei den Fantasien über irische und über ungarische Motive handelt es sich auch um Werke eines gerade einmal 20-jährigen Aufstrebenden. Die eigentlich schottischen Volkslieder sowie eine Passage, die einer Arie aus Donizettis Oper Lucrezia Borgia ähnelt, schmeichelten in England dem Publikum. Das zweite Werk, à la mode über ungarische Motive sollte den Komponisten nach seiner Herkunft charakterisieren. Diese Werke stellen seinen ersten ernsthaften Versuch dar, virtuose Musik für Violine mit Orchesterbegleitung zu komponieren.
Die frühen Kompositionen im Stile von Airs variés lassen sich mit denen von Zeitgenossen von Ernst bis Vieuxtemps durchaus vergleichen. Dazu haben die Interpreten zwei kurze Kompositionen, ein Notturno und eine Romanze eingespielt.
Katharina Uhde hat nicht nur die Ausgrabung der Werke, sondern auch für die neuzeitliche Erstaufführung und diese erste Einspielung besorgt. Mit seidig schlankem Ton und gemäßigten Tempi lässt sie die Musik erstehen. Dadurch vermeidet sie auch überschießende Brillanz und gibt damit ihrer Interpretation der beiden Fantasien den Versuch, ein musikalisch geprägtes Erscheinungsbild zu bevorzugen.
Unter der Leitung von Dennis Friesen-Carper agiert das Radio-Sinfonieorchester Warschau mit lässig solider Nonchalance. Damit bieten sie ein weiches Bett für die Solistin, ohne ihr den Vortritt zu nehmen. Etwas mehr Eifer und Feuer hätte die neu entdeckten Kompositionen sicherlich auch für heutige Ohren interessanter gemacht und der Solistin eine inspirierende Basis geboten, um die von Joachim gewünschte und mit seinen instrumentalen Fähigkeiten sicherlich auch erzielbare anregende Wirkung erzielen zu können.