Im Rahmen des alljährlichen Festivals Wien Modern trat das Cuarteto Casals mit teilweise im diesem Rahmen alt zu nennender Musik auf. Wie gut auch diese Werke in den Kontext passten, kann Uwe Krusch für Pizzicato darlegen.
Das vom Generalmusikdirektor im Jahr 1988 in Wien, Claudio Abbado, ins Leben gerufene Festival präsentiert seitdem jährlich im November in und um Wien herum an unterschiedlichsten Orten neue Musik. Dass dabei auch Werke sinnvoll einbezogen werden können, die heute nicht mehr als Neue Musik gelten können, auch wenn sie es zu ihrer Zeit waren, war in diesem Konzert zu hören.
Eigentlich bot das Cuarteto Casals mit dem zweiten Streichquartett von Dmitri Shostakovich und dem letzten Werk der Gattung von Ludwig van Beethoven, dem Quartett F-Dur op. 135, Stücke an, die man auf den ersten Blick als weit entfernt von modern betrachten könnte. Doch zeigten sie, dass bei Shostakovich die innere Hinwendung in die Musik mit einer für seine Lebensumstände sowie das beinahe heitere Quartett von Beethoven mit seiner ebenfalls seine Gegenwart überfordernden modernen Musiksprache auch heute noch mit gespitzten Ohren gehört werden können und müssen. Denn in ihrer persönlichen und klaren gestalterischen Aussage waren beide Komponisten prägend. Denn Shostakovich indoktrinierte in seinen Quartetten die russische Musiktradition dadurch, dass er diese durch seine Zitattechniken und auch sonst verfremdete. Und dass Beethoven ein musikalischer Neuerer war, dürfte allgemein bekannt sein.
Nun muss auch nicht verschwiegen werden, dass ein Quartett von Beethoven auf besonderen Wunsch des Musikverein Perspektiven Partners Peter Zumthor zu hören. Im Rahmen von Wien Modern holt der Musikverein jeweils einen musikalischen Amateur, der aber dieser Kunstgattung besonders zugeneigt ist, hinzu, der seine Ideen und Ansichten, auch in Gesprächen mit ausübenden Künstlern, einbringen kann. Der Schweizer Architekt Peter Zumthor war zu seinem 80. Geburtstag heuer der Auserwählte.
Das Cuarteto Casals wusste die Eigenheiten in beiden Kompositionen heraus zu kitzeln. Souveräne technische Möglichkeiten als Basis nutzend, formulierten sie mit klarer Durchdringung der Strukturen ein fein differenziertes Klangbild. Dabei fiel einmal mehr auf, dass diese vier Musiker ein edles und auf schöne Tongebung fixiertes Zusammenspiel pflegen, das allein deswegen schon das Zuhören zur Freude wird. Doch eigentlich prägend war die interpretatorische Gestaltung und Durchdringung, die bei Shostakovich ein symphonisch konzipiertes Quartett zeigte, bei dem Trauer und Totengedenken im Zentrum standen. Bei Beethoven gestaltete das Quartett die durchgängige Entspanntheit des ersten Satzes subtil und aufdringlich, das Scherzo trotz aller Herausforderungen der Komposition souverän meisternd und im langsamen Satz die umfassende Ausdrucksvielfalt unaufgeregt elaborierend, bevor sie im Finale die spöttische Ader Beethovens nonchalant mit nicht anzweifelbarer Homogenität zeigen konnten.
Ihr engagiertes und anregendes Spiel legten sie auch bei den beiden wirklich modernen Werken an, die jeweils die beiden Konzertteile eingeleitet hatten. Eröffnet wurde das Konzert mit den gut zwanzig Jahre alten Reflektionen über das Thema B-A-C-H von Sofia Gubaidulina, Ausgehend von der großen unvollendet und rätselhaft gebliebenen Schlussfuge aus Bachs Kunst der Fuge, Contrapunctus XIV, formte Gubaidulina ein Stück, bei dem sie kompositorische Verfahren von Bach aufgriff und mit ihren Mitteln innerhalb eines Netzwerkes von rhythmischen und melodischen Zellen installierte und neu deutete. Bereits hier konnten die Musiker alle ihre mitreißenden Fertigkeiten zum Genuss des Publikums auskosten. Ihnen gelang es, trotz der Kürze des Werkes, einen Spannungsbogen zu formen, der die Aspekte plastisch und detailliert ausformulierte.
Das dem Cuarteto Casals gewidmete Werk Cantos von Francisco Coll will die Beugungen der menschlichen Stimme in einem Satz imitieren. Es zeigte sich als eine meditative Beschwörung, die in den Stimmen des Quartetts sanft und nahtlos aneinander anschließend wanderten. Das Cuarteto Casals erzeugte das Gefühl einer Energiewelle, die durch das Quartett mit leisester bis einmalig lautester Dynamik aufblühte. Die Musiker setzten die seufzenden Gesten und Glissando-Andeutungen aus der Partitur in eine fast jenseitige Farbe um, die sie zu einem sehr leisen Ende führten.
Der begeisterte Beifall des Publikums im voll besetzten Brahms Saal des Musikvereins konnte vom Cuarteto Casals nur mit zwei Zugaben beruhigt werden. Im dritten Satz des dritten Quartetts von Shostakovich knüpften sie an den ersten Konzertteil an, bevor sie mit einer Bearbeitung für ihre Besetzung des Tanzes des Müllers aus dem Dreispitz von Manuel de Falla noch einen Gruß aus ihrer spanischen Heimat servierten.