Das Motto der 37. Ausgabe des Festivals Wien Modern « und jetzt alle zusammen“ wurde mit einem Orchesterkonzert des ORF Radio-Symphonieorchester Wien umgesetzt. Als Dirigent war kurzfristig Ingo Metzmacher eingesprungen, der zusammen mit Irene Delgado-Jiménez als Assistenzdirigentin das geplante Programm dirigierte. Wie sich das Konzert im großen Saal des Wiener Konzerthauses ohne die übliche Bestuhlung im Parkett, dafür auf Pappkisten mitten im Orchester hören ließ, kann Uwe Krusch für Pizzicato berichten. Einschlafen konnte man ohne Rückenlehne jedenfalls nicht.
Den Anfang setzte mit ‘Flux. Doppelkonzert für Horn, Trompete, Akkordeon und Streichorchester’, einer Uraufführung, zumindest in der erweiterten Fassung. Die Solisten und eine Auswahl an Streichern, insbesondere ein auch herausgehobenes Streichquartett, waren wie gewöhnlich auf der Bühne positioniert, die anderen Streicher aber lose im Raum verteilt. Und zwischen diesen waren Pappkisten als Sitze aufgestellt worden, auf denen sich dann 250 Zuhörer zwischen die Musiker mischten. Weitere Zuhörer nutzten am Rande und auf dem Balkon die gewöhnlichen Polstersitze.
In diesem Werk ließ sich die neuartige räumliche Klangwahrnehmung noch nicht so ganz erschließen. Hatten doch die Solisten, Christoph Walder, Horn, Anders Nyqvist, Trompete, mal aus dem Hintergrund, mal von der Bühne sowie zentral auf der Bühne Krassimir Sterev, Akkordeon, aufgrund ihrer lauteren Instrumente und der höheren Position einen besseren akustischen Durchdringungsgrad als die anderen Beteiligten. Für das Publikum auf dem Parkett waren jeweils nur die wenigen Streicher im direkten Umfeld gut zu hören. Alle anderen waren durch die weite räumliche Verteilung und das oft als leise bis sehr leise vorgegebene Spiel kaum zu hören.
Das Stück selber griff Concerto grosso Ideen, dezidiert der Brandenburgischen Konzerte von Bach auf. Das Trio der Hauptsolisten, das Streichquartett und die weiteren Streichern wechselten zwischen virtuos kammermusikalischem Gestus und dem Spiel in der Gruppe, wobei auch improvisatorische Einsprengsel zur Geltung kamen. Dabei erwies sich das Stück als von den Hauptsolisten geprägt, denen die Streicher eine Umgebung lieferten.
Die Raumwirkung viel besser auskosten konnte das Auditorium dann bei Terretektorh von Iannis Xenakis. Fand doch auch Ingo Metzmacher, sonst am üblichen Platz vorne an der Bühne agierend, mitten im Saal seinen Platz. Vor allem aber konnten sich die 88 Musiker, die zumeist neben ihrem Instrument auch noch Pfeifen und kleine Perkussionsinstrumente, nämlich Holzblock, Maracas und Peitsche, spielen mussten, besser durchsetzen. Dieses schon klassisch zu nennende Werk, das als innovativ für eine neue räumliche Anordnung gesehen werden kann, entfaltete durchaus auch mit Wucht und Lautstärke, aber auch mit seinem trocken und geräuschhaft ausgeformten Ansatz einen weit aushörbaren Prospekt, bei dem sich jeder Zuhörende in unterschiedliche denkbare naturale Szenerien hineinversetzten konnte. Ein selten zu hörendes, aber äußerst ansprechendes Werk.
Nach den beiden jeweils zwanzigminütigen Werken folgte ein doppelt so langes von John Luther Adams, nämlich Become Ocean als österreichische Erstaufführung. Ein wiederholter markanter Buhruf am Ende stand einem einhellig positiv gestimmten Publikum gegenüber, als dieses Stück endete. Inspiriert von Arktis und nordwestlichem Pazifik gab Adams eine andere Raumdisposition vor, bei der er das Publikum zwischen drei Orchestergruppen platzierte. In weiten, langsam aufwallenden und abebbenden Wogen, die von den drei Orchestergruppen geschaffen wurden, schufen eine je nach Gusto als hypnotisierend ergreifend oder langweilig wahrnehmbare Klangwellen, die durch das ununterbrochen spielende Klavier zusammen mit Harfen, Celesta sowie Schlagwerk verbunden wurden. Die Wucht der Tonhäufungen konnte man diesem Werk nicht absprechen, das auch in den zurückgenommenen Passagen seine Spannung nicht verlor. Über die lange Dauer bot das Stück dann doch unnötige Länge, aber man hatte jedenfalls Zeit, sich den verschiedenen Orchestergruppen in Ruhe zuzuwenden und so die Raumwirkung detaillierter aufzunehmen.
Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien bot jedenfalls den gesamten Abend über hochkonzentrierte Orchesterarbeit ausgefeilter Natur, die einmal mehr zeigte, wie wichtig dieses Ensemble für den Raum Wien und darüber hinaus ist. Metzmacher und auch Delgado-Jiménez hatten sich für ihre Dirigate vor allem auf die Koordination der unterschiedlichen Gruppen fokussiert und gezielte gestalterische Impulse vermittelt, so dass der Abend im Zusammenwirken einen bleibenden Eindruck hinterließ.