Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, kurz RSO Wien, hatte bereits jetzt sein letztes Konzert im Wiener Konzerthaus in der laufenden Saison. Zwei großformatige Werke konnte Uwe Krusch an dem Abend für Pizzicato hören. Solist für das Violinkonzert von Aram Khachaturian war der serbisch-französische Geiger Nemanja Radolovic. Als Dirigent des Abends war Andrey Boreyko zu Gast.
Das Violinkonzert schuf Aram Khachaturian in nur zwei Monaten. Schon im ersten Satz beschenkte er Solisten mit einem prägnanten folkloristisch gefärbten Thema. Auch im langsamen Satz verarbeitete der Komponist eine slawische Melodie, die auch sentimentale Seiten aufweist. Im turbulenten dritten Satz musste sich die lebhafte Solostimme zunächst gegen das Orchestertutti behaupten.
Nemanja Radulovic zeigte mit seinem das Publikum sehr ansprechenden Auftritt nicht nur eine starke Präsenz, sondern wusste auch als Geiger zu überzeugen. Er öffnete mit seinem Spiel die Bandbreite von leisen innigen Abschnitten bis hin zur virtuos auftrumpfenden Geste. Auch rhythmisch und sensuell wusste er das Werk in Szene zu setzen. Dabei hob er auch mit Farbwechseln seine Sicht auf das Konzert. Diese Interpretation mochte zwar nicht zwingend als genaues Abbild der armenisch geprägten Intentionen von Khachaturian zu hören sein, entfaltete aber eine das Publikum mitreißende Wirkung.
So bildete das Konzert, bei dem sich auch das RSO Wien mit Andrey Boreyko als hochkonzentrierte und mitgehende Partner im Können und Geiste erwiesen, einen mehr als gelungenen Auftakt des Abends. Für den nicht enden wollenden Applaus dankte Radulovic mit seiner Improvisation über die Caprices op. 1 Nummern 5 und 24 von Nicolò Paganini. Auch hier ließ er alle seine technischen Fähigkeiten wie etwa abwechselnde Pizzicati mit dem Bogen und der linken Hand im rasenden Tempo locker flockig von der Bühne perlen. Entsprechend der Natur des Stückes agierte er fantasievoll und spontan.
Beinahe doppelt so lang dauerte dann die gut einstündige 8. Symphonie von Dmitri Shostakovich, die mittlere der zur Trilogie des Krieges gehörenden. Sie stellt mit Dauer und großer Besetzung auch eines der ein Orchester fordernden Stücke dar, das ein Ensemble in bestes Licht tauchen kann. Andrey Boreyko und das RSO Wien nahmen sich der Komposition mit viel Liebe zu Details und der Freiheit für die Solisten aus dem Orchester an und konnten doch auch das Konstrukt in seiner Gesamtgestalt zusammenhalten. Ob Konzertmeisterin und Cellistin, ob Holz-oder Blechbläser, alle Solisten zeigten mit ihren herausragenden Leistungen sowie das Orchester als Ganzes, auch die Schlagzeuger, dass sie sich bestens vorbereitet hatten und der Musik mit großem Engagement und einem ausgeprägten Gespür für die Symphonie den Weg bereiteten.
Der Rezensent hatte dieses Werk vor dreißig Jahren mit dem Philharmonischen Orchester Oslo und Semyon Bychkov das erste Mal gehört. Und man mag annehmen, dass die Erinnerung zu einem überhöhten Ergebnis geführt hat. Aber mir schien es, dass bei aller Klasse der rezenten Aufführung damals eine noch größere Intensität gelang. Zum einen war damals die Sowjetunion noch vorhanden und damit die Nähe zu den Missetaten der Diktatur am östlichen Rand Europas. Zum anderen spornte Bychkov, etwa bei den endlosen Repetitionen der Streichertöne, das Orchester zu noch mehr, sich eher noch steigernder Penetranz an, die beim RSO Wien jetzt nicht so zu erleben war. Heuer wurde eine großartige Interpretation geboten, die aber aus meiner Sicht noch mehr Tiefe hätte haben können.