Im aktuellen Konzert des ORF Radio-Symphonieorchester Wien hatte Gastdirigent Jakub Hrusa zwei Werke aus seiner tschechischen Heimat mitgebracht, die Parabeln von Bohuslav Martinu und die 2. Symphonie von Miloslav Kabelac. Uwe Krusch höre für Pizzicato auch das darin eingebettete Konzert für Violoncello und Orchester von György Ligeti, dessen Solopartie von der amerikanischen Cellistin Alisa Weilerstein interpretiert wurde.
Die in diesem Konzert aufgeführten Parabeln zählten zu den Früchten der letzten beiden Jahre von Martinu. Die teilweise in Italien entstandenen Werke zeugen von der Üppigkeit dieses Landes und dem Echo antiker Klänge. Die das Werk eröffnenden Hörner mit den darunter liegenden Fagotten lassen nicht sofort auf Martinu schließen, aber ein erregtes Schlagzeug und aufstrebende Streicher führten bald zu einem Hauptthema, das keinen Zweifel daran ließ, welche Hand am Werk war. Die Energie des in vollem synkopischen Vorwärtsdrang geschriebenen Werks wurde vom engagiert und zielgerichtet schlanken Dirigat von Jakub Hrusa so fesselnd auf die Musiker vom ORF Radio-Symphonieorchester übertragen, dass dies Parabeln überzeugend dargeboten wurden. Mit diesen Sätzen stellten Dirigent und Orchester die Quintessenz von Martinus Wirken dar, seine in Jahrzehnten gesammelte Erfahrungen mit Anreicherungen durch den etwa von Debussy Impressionismus wurden in einer ebenso luziden wie kraftvollen und damit beeindruckenden Darstellung angeboten.
Das zwischen Martinu und Kabelac eingebettete Cellokonzert von György Ligeti bot dazu einen feinen Gegensatz. Nach der Lautstärke und dynamisch treibenden Aktionen bot das Konzert mit seiner aus dem Nichts kommenden Eröffnung und beinahe stehenden Bläser- und Streicherklängen einen leisen Gegenpol, der erst am Satzende in einem Fortissimo Aufschrei endete. Erst der zweite Satz bot wiederum mit konturierten Figuren Bewegung und auch Partituranweisungen „wie eine plötzliche Eruptionen“, bevor am Ende alles wieder in einer flüsternden Kadenz verstummte.
Diese weitgespannten dynamischen und spieltechnischen Anforderungen wusste die amerikanische Cellisten Alisa Weilerstein ebenso sorgfältig wie klanglich und auch optisch effektvoll darzustellen. Bei so einem Werk darf man gerne auch mal den Begriff Augenmusik erwähnen, da dieses Werk auf der Bühne durch die optische Komponente eine weitere Ebene neben dem Gehörten erhielt. Insbesondere gelang es ihr im ersten Satz, den Riss in der Musik darzustellen, als sie in die Flageolett Passage wechselte. Deutlich wusste sie auch mit episodenhaftem Spiel die kollagenartige Struktur des zweiten Satzes zu charakterisieren. Dabei wusste sie das Orchester unentwegt und sensitiv horchend und agierend an ihrer Seite.
Dann zelebrierte Weilerstein noch eine ihrer Lieblingszugaben, nämlich das Stück Omaramor von Osvaldo Golijov. Dabei handelt es sich um eine Fantasie auf das Lied von My Beloved Buenos Aires von Carlos Gardel. Das etwa acht Minuten lange Werk wurde ohne Takte geschrieben, Tempo und Puls sind frei. Weilerstein ließ ihr Cello mal melancholisch, mal rau wandern, bis sich die Melodie des unsterblichen Liedes enthüllte.
Erneut auf unbekannten Pfaden wandelte das Orchester zum Abschluss mit der zweiten Symphonie von Miloslav Kabelac. Wie Martinu ein wichtiger tschechischer Komponist aus dem 20. Jahrhundert, ist seine Musik auch durch die heimische Folklore sowie außereuropäische Musik inspiriert. In der Symphonie zeigten sich die seine Musik prägenden Merkmale der Monumentalität, der Konstruktion eigener Modi, das Denken in Proportionen und, wie auch bei Martinu, eine besondere Vorliebe für das Schlagwerk.
Hrusa, der diesen Komponisten auch wegen dessen aufrecht persönlicher Haltung in sozialistischen Zeiten als moralische Autorität betrachtet, war es deswegen sicher eine Herzensangelegenheit, eines seiner Hauptwerke, zu denen die acht Symphonien gehören, zu programmieren und zu dirigieren. Das RSO Wien ließ sich mit erlesenem Orchesterwirken, das alle Ensemblemitglieder forderte, auf diesem Weg mitreißen. Im Zusammenwirken mit dem Dirigenten begeisterten sie das Publikum mit dem in erweiterter Tonalität geschriebenen Werk von gut einer halben Stunde Dauer. Wie zuvor bei Martinu durften auch hier die Schlagzeuger glänzen. Doch die Musiker aller Register förderten auch klar die modularen Strukturen heraus wie sie auch die nicht auf die Oktave bezogenen Skalen zeichneten. Dieses im Wiener Konzerthaus erstmals zu hörende Werk ließ in dieser glänzenden Interpretation einen außerhalb seiner Heimat eher unbekannten Komponisten in einer leuchtenden Darstellung erstrahlen und hinterließ die begeisterten Zuhörer mit der Frage, warum man diese Musik nicht besser kennt.