Das zum Glück kürzlich gerettete ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Leitung seiner noch amtierenden Chefin Marin Alsop zeigte einmal mehr seine unverzichtbare Klasse. Mit Werken von Brett Dean und Copland interpretierte es jüngere Kompositionen. Erst nach der Pause folgte mit dem 2. Klavierkonzert von Rachmaninov und dem jungen Solisten Yunchan Lim der Wohlfühlteil für diejenigen, die auf vertraute Klänge warteten. Uwe Krusch hörte für Pizzicato, wie sich die naivere Naturbetrachtung, die Flammenwände und die romantischen Wogen miteinander ins Benehmen setzten.
Den Auftakt machte Music for Martha, heute allgemein als Appalachian Spring bekannt. Dieses für das Ballett von Martha Graham entstandene Werk spielte das RSO Wien in der 1945 entstandenen Fassung als Suite für Orchester. Man mag dieses Stück als Sinfonia domestica hören, wenn auch ganz anders als die so betitelte Komposition von Richard Strauss. Auch hier geht es um ein Ehepaar und sein Zusammenleben. Allerdings sind die Charaktere hier jung und frisch vermählt im neuen Heim und müssen zu sich und der Nachbarschaft erst eine Beziehung aufbauen. Ausgehend vom Charakter der Martha Graham zeichnete Copland Personen, die etwas spröde und beherrscht sind und dabei gleichzeitig einfach und stark, so wie er typisch amerikanische Menschen sah.
Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien wusste diese nicht gerade anschmeichelnde Charakteristik ebenso tragend umzusetzen wie sie auch die weiteren Eigenschaften von Einfachheit und Stärke in ihrem von Beginn an aufmerksam auf das pointierte Dirigat von Alsop gerichteten Spiel ausloteten.
Danach überrollte die noch etwas längere halbstündige Fire Music von Brett Dean das Auditorium. Als Beziehung zu Coplands Werk konnte man sehen, dass auch diese Musik für einen Choreographen, den Australier Graeme Murphy, und damit als ein Ballett, entstand. Als emotionale Reaktion auf den desaströsen ‘Black Saturday’ Buschbrand 2009 in Australien schrieb Brett Bean aus Brisbane diese Musik.
Von einem feuerbeschreibenden Punkt aus entwickelte sich das Werk im Laufe des Prozesses zu einem rein abstrakten. Somit wanderte das Stück von der Art, « einen Teelöffel zu beschreiben » (Strauss) auf der einen Seite zu « gar nichts » (Stravinsky) auf der anderen. Dean nutzte auch ähnliche große Pinselstriche wie die, mit denen die beiden genannten Komponisten emotionale Wenden herbeiführten. Denn Feuer hat zerstörende, kann aber auch reinigende und erneuernde Wirkung haben und bietet damit Wendepunkte in einer Landschaft. Nach Wassermusik und Pastoralsymphonie mag man die Feuermusik als Teil einer losen Serie sehen, die die eigenen elementaren Erfahrungen Deans mit der physischen Welt in seinen musikalischen Ausdruck einfließen lässt.
Die mal zarte, oft eruptiv aufbrechende Musik stellte das RSO Wien mit Vehemenz und verspielter Klarheit dar. Alsop dirigierte das Stück mit konzentrierter Hingabe und animierte so das Ensemble zu einer stringenten Wiedergabe, die dieses trotz seiner Modernität zugänglich bleibende Werk so artikulierte, dass das Publikum mit begeistertem Beifall dankte.
Mit dem jungen Yunchan Lim am Klavier hatte Marin Alsop einen Solisten eingeladen, den sie als Sieger des von ihr dirigierten Finales des Van-Cliburn-Wettbewerbs 2022 kannte. Auch bei einem der Schlachtrösser der Klavierliteratur, dem zweiten Konzert von Serge Rachmaninov, wusste Lim seine Qualitäten herauszustellen. Mit seiner ausgefeilten Technik, die er gerade hier gezielt einsetzte, um neben kammermusikalisch ausgerichteten Punkten viele groß angelegte Wirkungen zu erzielen, ohne dabei die pianistische Pranke zu bemühen, schuf er eine musikalisch tief ausgelotete Sicht des Konzertes. Mit nunmehr Mitte zwanzig erreichte Lim neben der technisch überzeugend ausgeprägten Darstellung auch eine interpretatorisch packende Deutung.
Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien wurde dabei von Marin Alsop im engsten Kontakt mit dem Solisten bis auf wenige nicht konzentrierte Augenblicke in der Stretta des Schlusssatzes mit packender Energie und aufmerksamer Anpassung an den Solopart sicher im Zusammenwirken geleitet. Damit trugen sie ihren Teil dazu bei, dass das Konzert, auch wenn es häufiger zu hören ist, einen frischen und prägnanten Eindruck hinterließ.
Mit der Aria mit verschiedenen Veränderungen. Clavier-Übung IV BWV 988 aus den Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach dankte Lim für den überschwänglichen Applaus und formulierte damit einen ruhigeren Schluss.