Dem Oratorium Susanna, das wie bei Händel immer mal wieder zu beobachten, auch opernhafte Elemente enthält, war das Abschlusskonzert des Resonanzen Festivals im Wiener Konzerthaus vorbehalten. Und wieder einmal hatte der Komponist seine Fähigkeiten ausgekostet. Mit 180 Minuten Dauer erforderte es von den Zuhörern reichlich Sitzfleisch. Aber die Mühen wurden vom Werk und den Interpreten reichlich belohnt, weiß Uwe Krusch für Pizzicato zu berichten.
Die Erzählung, einem eigenen Buch der Apokryphen und nicht der Bibel der Zeit entnommen, wie die übrigen Oratorienerzählungen bei Händel, behandelt eine Frau beim Bade, deren Mann verreist ist. Zwei lüsterne Alte wollen sie verführen. Ihre Weigerung wird mit einer Klage der beiden bestraft, wonach sie sich mit einem jungen Mann außerehelich getroffen haben soll. Die getrennte Vernehmung der Alten vor Gericht, bei der sie unterschiedliche Angaben zum Ort des vorgetäuschten Geschehens machen, bewahrt Susanna vor der Todesstrafe und bringt sie zurück in die Arme ihres Mannes.
Als Gäste waren das schottische Dunedin Consort aus Chor und Orchester und sein Leiter John Butt gekommen, um diese Geschichte in Tönen zu erzählen. Fünf Solisten sowie für die kleine Rolle des Richters der Bariton Robert Davies aus dem Chor wurden zugesellt. Dieser Bariton schuf in seinen wenigen Worten und Noten eine klare und markante Zeichnung des Juristen.
Neben ihrem Gesang wussten alle Singenden auch mit mimischer Unterstützung der Rolle Emotionen und Absichten der gezeigten Personen ergänzend darzustellen, ohne deswegen gestisch zu agieren.
Anna Dennis als Susanna überzeugte mit ihrem geschmeidigen Sopran sowohl in den Momenten größten Glücks mit ihrem Ehemann wie auch in der Bedrängnis mit den Alten beim Bade oder in der Todesnot vor Gericht und wieder zurück bei ihrer großen Liebe. Ihr Schicksal nahm man ihr jederzeit ab. Außerdem konnte sie wie alle anderen als Muttersprachlerin, soweit man das alte Englisch zu Händels Zeiten für heutige Personen noch als Muttersprache bezeichnen kann, bestens bedienen. Ihren Gesang in den Rezitativen und Airs genannten Partien entwickelte sie auf Basis feinster Modellierung mit Schimmer und Eleganz. So gelang ihr zusammen mit dem Orchester beispielsweise die Arie ‘Crystal streams …’ in der zweiten Szene des zweiten Teils so wunderbar einnehmend, dass selbst die Aufnahme einer großen Kollegin in dem Konzeptalben ‘In War & Peace’ nur einen blassen Abklatsch der Möglichkeiten bietet. Einen anderen äußerst reizvollen Augenblick bot das im Stück frühe Air „Would custom bid …“, bei dem sie, auch dank exzellenter Unterstützung durch das Orchester, das mit zitierenden oder verzierten Echos ihre Stimme nachahmte, eine bezaubernde Stimmung erzeugte.
Zusammen mit ihrem Ehemann Joacim, gesungen von Altus Alexander Chance, ergab es ein im Timbre und der musikalischen Auffassung allerfeinst harmonierendes Duos, so dass nur die gegenseitige Liebe die Antwort sein konnte.
Alexander Chance nutzte selbige, um mit leicht wirkender, aber durchsetzungsfähiger Stimme den liebenden und dann besorgten, gleichwohl an der Unschuld seiner Frau keinen Moment zweifelnden Gatten zu zeigen. Mag seinem Gesang auch der besondere Schmelz mancher Kollegen der Stimmlage abgehen, so stellte sich das in dieser Rolle als lebensnaher Mensch eher als Vorteil dar, den er mit einer prägenden Gestaltung zur Geltung bringen konnte.
Mit Bariton Matthew Brook, in der Doppelrolle Chelsias, also Susannas Vater, und Zweiter Ältester, war ebenfalls eine tolle Besetzung der Rollen gelungen. Als sorgender Vater sowie als geiler (pardon) Alter wusste er vor allem letztere Seite mit entsprechend süffisanter Mimik noch fieser zu gestalten. Das war nicht nur darstellerisch, sondern mit der Kraft der tiefen Stimme auch sängerisch ein Erlebnis für die Rollenadaption. Wie bei allen sorgte auch bei ihm die Textverständlichkeit seines Gesangs für großes Vergnügen beim Lauschen dieser alten englischen Vokabeln.
Tenor Joshua Ellicott als Erster Ältester konnte auch seine etwas bescheidenere Partie mit stimmlicher Sorgfalt und Ausdrucksformung gelungen beisteuern.
Jessica Cale durfte ihre Sopranstimme für die Rollen des Daniel und der Dienerin zu Gehör bringen. Dramaturgisch kommt ihr mit Daniel, also dem Propheten, eine entscheidende Rolle zu, denn nur sein Einspruch bei Gericht ermöglicht das getrennte Verhör der Alten und damit Susannas Rettung. Als Dienerin hatte sie Susanna zuvor schon in den Stunden der Abwesenheit ihres Gatten Trost gespendet. Cale zeigte an und für sich eine mehr als saubere und angenehme Leistung, klang im Vergleich zu Dennis als Susanna aber eher metallischer. Damit gelang ihr nicht ganz diese Feinheit und Delikatesse. Trotzdem reihte sie sich mit ihren Leistungen bestens in das homogene Ensemble ein.
Der Chor des Dunedin Consort, je Stimme nur mit vier Sängern besetzt, entfaltete trotzdem eine beeindruckende Kraft, ohne deswegen Agilität und Homogenität zu vergessen. Vielmehr ermöglichte gerade die kleine Besetzung die volle Konzentration und das famose Miteinander.
Das Orchester, von John Butt stehend am Cembalo organisiert, überzeugte mit dem kernig gesunden Spiel, das weder die Richtung original behaupteter Askese noch die andere pastoser Masse suchte. Im Prinzip als Streicherensemble agierend, dem im Continuo nur ein Fagott zugeordnet war, wurde es punktuell von zwei Oboen und am Ende des dritten Teils ab der zweiten Szene von zwei Trompeten bereichert. Damit bewies Händel einmal mehr, dass er gerne auch auf Wirkung bedacht komponierte, wenn auch in diesem Moment als Ausdruck der Rettung sachlich berechtigt. Das Orchester setzte alle Details der Partitur mit feiner Nuancierungskunst in eine facettenreiche Darstellung um, bei der zum Vorschein kam, dass selbst ein zu Lebzeiten des Komponisten kaum aufgeführtes und heute beinahe vergessenes Werk noch so viel wunderbare Musik enthält, wie andere ihr Leben lang nicht schreiben.
So überzeugend dargeboten entpuppte sich das Oratorium Susanna in drei Teilen aus dem Jahre 1748 von Georg Friedrich Händel als krönender Abschluss des Resonanzen Festivals, was vom Publikum, auch das wegen der tollen Leistungen immer noch hellwach, entsprechend gefeiert wurde.