Konzerthaus Wien,
(c) Victoria Coeln

Das Mahler Academy Orchestra, das auch als Originalklang-Projekt firmiert, bot mit seinem Initiator und Dirigenten Philipp von Steinaecker zwei große Werke vom Beginn des letzten Jahrhunderts an. Für das Solo im Klavierkonzert Nr. 3 von Sergej Rachmaninov betrat gleich zu Beginn Leif Ove Andsnes ebenfalls die Bühne. Uwe Krusch hat für Pizzicato gehört, wie das Solokonzert und die anschließende 5. Symphonie von Gustav Mahler umgesetzt wurden.

In der Pause hatte es eine Einführung von Johanna Ressel, Cellistin im Projekt, gegeben. Diese zeigte die Vorgeschichte auf. Philipp von Steinaecker und seine Mitwirkenden hatten sich zur Umsetzung seiner Idee auf die Suche nach Instrumenten aus der Zeit der Kompositionen begeben. Beim Flügel, dem Steinway mit der Herstellernummer K96, handelte es sich nachweisbar um ein Instrument der Zeit, vielleicht sogar, soweit aber eine Vermutung, um das, auf dem Rachmaninov damals in New York spielte. Bei anderen Instrumenten musste man erst eine intensive Suche starten bzw. nach Vorbildern restaurieren oder nachbauen lassen. Die Referentin wies darauf hin, dass die Streicher mit Darmsaiten spielten und die Blasinstrumente sich deutlich von heute gebräuchlichen unterscheiden. Die nach den Wünschen von Mahler gearbeiteten Pauken, die ebenfalls ungewöhnlich prägnant und trotzdem zahm erklangen, erwähnte sie nicht. Es wäre bei so einem Vortrag sicherlich auch möglich und löblich gewesen, dem Publikum wenigstens an einigen Beispielen zu erläutern, worin diese Unterschiede bestehen und wie sie sich auf den Klang auswirken. Denn vermutlich war nicht jeder im Publikum so fachkundig, dass er das von sich aus umfänglich beim Hören nachvollziehen konnte. Diese Chance wurde leider vertan.

Der Einstieg in das Klavierkonzert mit den mit Dämpfern spielenden Streichern brachte kurz einen dumpfen Klangeindruck, der sich dann aber schnell auflöste. Vielmehr wich dieses Hörerlebnis schnell der Faszination, die während des Konzertes entstand. Einfach überwältigend widmete sich Andsnes der Solopartie. Es gibt Berechnungen, dass dieses Werk von allen großen Klavierkonzerten das mit den meisten Noten pro Sekunde im Klavierpart ist. Dass diese Menge an zu bewältigenden Anschlägen dem Solisten auch nur irgendeine Schwierigkeit abverlangt hätte, war seinem eleganten und klar und präzis strukturierten Spiel zu keinem Zeitpunkt anzumerken. Vielmehr legte Andsnes noch eine Schwierigkeit oben drauf. Er hatte die ursprüngliche, als „ossia“ in der Partitur vorgesehene Kadenz für seinen Vortrag ausgewählt und nicht die leichtere, die der Komponist nachgeliefert und dann selber gespielt hat.

Dieses auch für das Orchester fordernde Werk erlebte durch das Ensemble eine dem Solisten gerecht werdende Interpretation, die den Solopart wirkungsvoll stützte. Aus der Verbindung der historischen Instrumente ergaben sich passende Abstimmungen, die trotz partiell deftiger Orchestereinwürfe dem Flügel immer noch Raum ließen, so dass sich Andsnes locker durchsetzen konnte. Andererseits ergab sich aus den instrumentalen Möglichkeiten auch die sensibel ausgehorchte Feinfühligkeit leiser Passagen, die mit den besonderen Klangfarben der Besetzung spielen konnte.

Im zweiten Teil des Abends folgte die 5. Symphonie von Gustav Mahler. In diesem Werk zeigten sich die Umstände der historisch informierten Instrumentierung noch besser. Denn sie ermöglichten auch andere Ausdrucksformen und Schlenzer als mit heutigen Instrumenten. Die Instrumente hatte damals Mahler selber wegen der sehr spezifischen Klangqualität ausgesucht. Er kommentierte: „Wenn ich einen leisen, verhaltenen Ton hervorbringen möchte, […] lege [ich] ihn in jenes [Instrument], welches ihn nur mit Anstrengung und gezwungen, ja oft mit Überanstrengung und Überschreitung seiner natürlichen Grenzen zu geben vermag. So müssen mir die Bässe und Fagotte oft in den höchsten Tönen quieken, die Flöten tief unten pusten.“  Mit modernen Instrumenten lassen sich alle Passagen ohne solche Anstrengungen realisieren. Damit fehlt es aber an dem Balancieren auf dem Grat mit dem musikalischen Risiko, am Rande des Abgrunds eine Schönheit zu formulieren, die Mahlers Musik so mitreißend und berührend macht.

Darmsaiten sowie Holzdämpfer für die Streicher sowie andere Bauweisen und Materialen für alle Bläser ließen das Orchester wie einen quicklebendig agierenden Organismus klingen, in dem sich auch die auf Anregungen von Mahler gebauten Pauken einfügten. Trotz markant auftretenden Holzbläsern und erschütterndem Schmettern des Blechs bot das Instrumentarium eine ausgeprägte Balance der Instrumente untereinander, in der sich auch der warme Streicherklang perfekt zumischte.

Dass Steinaecker, ehemals Assistent von Claudio Abbado, auch noch seine Ideen der sich daraus ergebenden Interpretationsmöglichkeiten deutlicher als üblich zeigen konnte, beispielsweise die mahlertypischen schleifenden Lagenwechsel, führte zu einem ungewohnten Klangerlebnis. Dieses Konzept wurde sehr überzeugend dargestellt. Denn die Balance und die Charaktere der Instrumente zeigte eine modulationsreich changierende Partiturauslegung, die beispielsweise ohne die bekannten scharf artikulierten Bläserschreie auskam und trotzdem oder dennoch eine so kontrastreiche und vielgestaltige Welt erschuf, bei der der Reiz zum Zuhören nie nachließ.

Dabei zeigten sich trotz der zuvor beschriebenen Schwierigkeiten die Instrumentalisten in bester Verfassung und mit höchster Motivation. Eigentlich sind vor allem die Bläser und deren Solisten zu loben. Aber auch die Streicher boten kraftvolle und ausdrucksstarke Beiträge zum Gesamtwerk. Dabei muss man bei den ersten Violinen besonders ihre Contenance und Homogenität erwähnen. Denn man hätte befürchten können, dass sie der selbstdarstellungsaffinen ununterbrochenen bewegungsreichen Aktivität des Konzertmeisters, die einen an ein Hyperaktivitätssyndrom denken ließ, erliegen und in Unordnung versinken könnten.

Ein spannender und inspirierender Abend voll großer Musik wurde in beiden Teilen vom frenetisch applaudierenden Publikum gefeiert. Aber eine Zugabe gab es nach der langdauernden Symphonie nicht. Nur Andsnes hatte am Ende seines Auftritts von Sergej Rachmaninov die Etude in C-Dur op. 33/2 aus den Etudes-tableaux gegeben, um dem Publikum für den Beifall zu danken.

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