Sozusagen parallel zu den markigen Worten von Moritz Eggert, dem Präsidenten des Deutschen Komponistenverbandes, zur rückgratlosen Haltung des eng mit Russland verbundenen Teodor Currentzis in Bezug auf den Kriegsherrn Putin leitete letzterer ein Konzert im Wiener Konzerthaus. Uwe Krusch, Pizzicato, hörte die Interpretation der dritten Symphonie von Gustav Mahler, die der griechisch-russische Dirigent mit dem Orchester Utopia, den Damen der Wiener Singakademie, den Wiener Sängerknaben sowie der Altistin Wiebke Lehmkuhl anbot.
Dieses Werk forderte mit seiner Dauer und großen Besetzung die Interpreten heraus. Zu den Schwierigkeiten gehörte auch, den langen ersten Satz als Ganzes zu lesen, denn er allein dauerte mehr als dreißig Minuten. Da mochten die Musiker des Utopia genannten Orchesters auch körperlich stark beansprucht sein, spielten sie doch, außer die Cellisten, im Stehen. Das seit 2022 bestehende Orchester hat eine spezielle Gründungsgeschichte. Alle Mitspieler wurden vom Dirigenten handverlesen und stammen aus 30 Staaten. Sie spielen in jährlich zwei bis drei Phasen zusammen und stammen aus Klangkörpern wie Camerata Salzburg, Concertgebouw, aus deutschen Staatsopern oder dem BR-Symphonieorchester. Er hat mal gesagt, Utopia sei « wie ein Jugendorchester mit Erwachsenen ». Wobei sich die Jugend auf die Euphorie bezog und die Qualität auf die Erwachsenen. Finanziert wird dieses Ensemble von der Stiftung « Kunst und Kultur DM ».
Musikalisch wurde ein großer Abend geboten. Schon der Einstieg zum ersten Satz, bezeichnet mit „Kräftig. Entschieden“, zeigte, dass Currentzis einen genauen Plan hatte. Die Anfangstakte ließ er prägnant und selbstbewusst, aber doch nicht muskulös und brachial erklingen. Und auf dieser genau dosierten Grundlage baute er den Satz und das Werk auf. Es gab lediglich zwei monoton wirkende kurze Phasen im ersten Satz, die nicht wirklich gesteuert, sondern ideenarm schienen. Ansonsten wusste er die Abschnitte in sich geschlossen mit viel Gespür für die Musik zu organisieren wie auch den Satz in seinem Inneren zusammen und darüber hinaus die Spannung zu halten.
Gleich hier zeigten sich die Stärken der Musiker. Die Bläser konnten in allen Registern mit famosen Leistungen überzeugen und boten über die Holzsolisten bis hin zur Kontrabasstuba feinste Linien ebenso wie prachtvollen Bläserklang der Register. Ebenso beeindruckten die Schlagzeuger, die Harfenistinnen gerieten in den orchestralen Massen ein wenig ins Hintertreffen.
Bei den Streichern zeigte sich an diesem Abend das Bild nicht so einheitlich. Wunderbar unisono und ausdrucksstark agierte die Bratschengruppe und auch die Celli ließen sich mit ihren markanten Einwürfen und Kantilenen hören. Weniger beeindruckend, allerdings in diesem Werk auch nicht so herausgehoben, zeigten sich die links und rechts vom Dirigenten stehenden Geigen. Die von MusicAeterna stammende Konzertmeisterin Olga Volkova ließ ihre vielen kleinen Soli in dem Sinne ungenutzt verstreichen, als sie ihre Geige wie angebunden und nicht frei klingen ließ und technisch auch nicht alles wirklich überzeugend anbot. Lediglich im Misterioso Satz zusammen mit der Altistin Wiebke Lehmkuhl gestaltete sie auch musikalisch schön.
Nach dem kraftvollen ersten Satz folgte der lichte, eher poetisch zu hörende zweite Satz. Diese feinere Lesart kam denn auch zu Gehör. Erst am Ende des Satzes die einschüchternde Vision, wie sie Mahlers Idee hinter dem Werk zeigt, eine Reaktion auf die Wirklichkeit und nicht diese selbst.
Im Misterioso sang als Solistin Wiebke Lehmkuhl. Die Altistin führte ihren Part zwar leicht, aber eher bodenhaftend als engelhaft. Bei ihrer dunklen Stimme und guter Artikulation passte diese irdische Präsenz gut, zumal das Orchester die im dreifachen piano gesetzte Begleitung sanft beisteuerte, ohne deswegen an Intensität zu verlieren.
Im folgenden Satz gesellten sich noch aus der Stadt die Damen der Wiener Singakademie und die Wiener Sängerknaben hinzu. In dieser kecken Musik brillierten die Wiener Sängerknaben, wobei auch die Damen des Singvereins sich glanzvoll einbrachten.
Mit nochmals fast einer halben Stunde findet die Symphonie danach ein rein instrumentales Ende. Dieser letzte Satz gelang an diesem Abend sehr schön und intensiv und gerade in den ersten Minuten mochte man durchaus schon die neunte Symphonie ahnen. Intensive Streicher und feinsinnige Bläser zeigten mit Transparenz und die durch keinen Stab eingeengten Hände des Dirigenten vielfältige dynamische Abstufungen und sinnfällig herausgearbeitete Details. Der Satz bot ruhevolles und trotzdem intensivstes Musizieren, dass poetisch ebenso wie voller Glut noch einmal volle Konzentration und tiefes Hineinversetzen aller beteiligten Instrumentalisten forderte und auch erhielt. Dieser Satz wurde der beeindruckendste des Konzerts.
Die nachgelagerten Szenen waren dann auch, wenn auch sehr unterschiedlich, einprägend. So durfte sich auch Wien, eine der kulturellen Hauptstädte des Kontinents, eines weiblichen Trampels im Publikum erfreuen, der nach dem letzten Akkord in die Haltepose von Dirigent und Orchester hinein Bravo johlte. Ja, leider war auch unsachverständiges Schaupublikum im großen Saal des Wiener Konzerthauses dabei. Jedenfalls ließ diese dumme Kreischende alle anderen, sowohl auf der Bühne wie im Publikum verständnislos zusammen zucken und zerstörte den Augenblick. Dann aber brach sich der Jubel des begeisterten Auditoriums seine Bahn.
Ungewöhnlich auch, vor dem Hintergrund der Idee dieses auf Mitwirkung der Musiker bedachten Ensembles aber nachvollziehbar, dass alle Solisten, also vor allem Solobläser, einzeln für ihren Applaus nach vorne an die Bühnenkante geholt wurden.
Wie sich dieses Orchester entwickeln wird und ob es einen besonderen Platz, wie von Currentzis erhofft, einnehmen wird, kann nach nicht einmal einem Jahr noch nicht gesagt werden. Neben viel Positivem gab es auch noch Dinge, an denen sich feilen ließe.