William Christie - The Complete Erato Recordings, Werkliste am Ende des Beitrags; Philippe Jaroussky, Natalie Dessay, Renee Fleming, Veronique Gens, Susan Graham, Nathalie Stutzmann, Anne Sofie von Otter, Ian Bostridge, Sophie Daneman, Paul Agnew, Max Emanuel Cencic, Les Arts Florissants, William Christie; 61 CDs Erato 5021732276995; Aufnahmen1994-2011, Veröffentlichung 15.11.2024

Zum 80. Geburtstag des französisch-amerikanischen Dirigenten William Christie veröffentlicht Erato eine Box mit 61 CDs mit allen Erato- und Virgin Classics-Aufnahmen.

1944 geboren, gründete er 1979 das Ensemble Les Arts Florissants, das sich zu einer führenden Kraft in der historischen Aufführungspraxis entwickelt hat. Christies Kenntnis der französischen Barockoper, insbesondere der Werke von Komponisten wie Lully, Rameau und Charpentier, hat ihm internationale Wertschätzung eingebracht. Sein Engagement für eine historisch fundierte Aufführungspraxis hat neue Maßstäbe gesetzt und vergessenen Meisterwerken neues Leben eingehaucht.

Nachfolgend findet der Leser Rezensionen, die Pizzicato bei Erscheinen der Aufnahmen in seiner Printausgabe veröffentlichte.

Christies King Arthur
Henry Purcell: King Arthur; Véronique Gens, Claron McFaddon, Sandrine Piau, Les Arts Florissants, William Christie (91’25’)

Die Presse in der ganzen Welt berichtete von den glorreichen Aufführungen der Purcell-Oper King Arthur im Pariser Châtelet, in Caën und im Londoner Covent Garden. William Christie und sein Ensemble Les Arts Florissants bekamen dafür allerhöchtes Lob.

Die Schallplatte dokumentiert diese singuläre Leistung (in einer wegen Transparenz, ihrer räumlichen Tiefe und ihrem präzisen weitgehend hallfreien Klangbild superben Aufnahme).

92 Minuten hochexpressives Singen und Musizieren auf allerhöchstem Niveau: hier findet ein Drama seine Zuhörer. Einsame Spitze! (RéF)

Großartige Zauberflöte
Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte; Rosa Mannion, Natalie Dessy, Linda Kitchen, Hans-Peter Blochwitz, Anton Scharinger, Reinhard Hagen, Willard White, Les Arts Florissants, William Christie (150’23)

Erato präsentiert die im Studio aufgenommene Zauberflöte in der Besetzung des Festivals von Aix-en-Provence. William Christie, Herr der Barockmusik, ein Amerikaner in Paris, kümmert sich weder um Freimaurerlogen noch um die Philosophien von Gut und Böse und konzentriert sich auf die Musik und eine dramatische Handlung, die, so haben wir festgestellt, zusammen genug haben, um uns zu verführen. Ohne die übliche Überladung mit Symbolen und ohne die Reduktion auf ein Kindermärchen zu erleiden, profitiert Christies Flöte von der meisterhaften Behandlung durch Les Arts Florissants – schöne Farben, Detailreichtum – und wird von einem erstklassigen Vokalensemble bedient, das der Dirigent zu lebendigen und aufrichtigen Verkörperungen animieren konnte. (ma)

Händels Orlando
Georg Friedrich Händel: Orlando; Patricia Bardon, Mezzosopran (Orlando), Rosemary Joshua, Sopran(Angelica), Hilary Summers, Contralto (Medoro), Rosa Mannion, Sopran (Dorinda), Harry van der Kemp, Bass (Zoroastro); les Arts Florissants, William Christie (168′)

Händel-Opern verlangen Schönheit und Virtuosität von Gesang und Orchesterbegleitung sowie eine ausgeprägte Sensibilität für das echte Gefühl und für dramatische Expressivität. Die höchste Stufe dieser Sensibilität haben weder William Christie noch seine Sänger erreicht – trotz aller Vorzüge dieser über weite Strecken prachtvollen Einspielung.

Christie bringt die ihm eigene Vitalität in diese Oper ein, aber es gelingt ihm nicht durchgehend, Händels Werk so zu dramatisieren, dass der Hörer wirklich gefangen genommen wird. Das liegt freilich zum grossen Teil an einigen Sängern.

Patricia Bardon mag zwar sehr schön singen, die Gestalt des Orlando kann sie aber aufgrund mangelnder Engagiertheit nicht glaubwürdig darstellen. Auch Harry van der Kemps Zoroastre ist allzu brav. Die anderen Sänger hingegen sind exzellent. So ist diese neue Version des Orlando vor allem ein rein musikalischer Genuss, mit viel prachtvollem Musizieren und Schöngesang. (RéF)

Grossartige Unterhaltungsmusik
Marc-Antoine Charpentier: Les Plaisirs de Versailles, Air sur les Stances du Cid, Patoraletta Amor Vince Ognio Cosa; Sophie Daneman, Steve Dugardin, J.F. Gardeil, François Piolino, François Petitbon, Paul Agnew, Les Arts Florissants, William Christie

Auf Seite 2 des Booklets dieser CD befindet sich ein Foto, das William Christie zeigt, wie er entspannt dirigiert, wobei ein breites Lächeln sein Gesicht erhellt. Er muss sich köstlich amüsiert haben, so wie sich der Zuhörer amüsiert, wenn er dieser herrlichen, fröhlichen und exquisiten Musik lauscht, die von einem Sängerensemble vorgetragen wird, das den Unterhaltungscharakter der Musik wunderbar zu vermitteln weiß.

In Les Plaisirs de Versailles erleben wir einen Streit zwischen Musik und Unterhaltung, den Comus mit dem Angebot von Schokolade, Gebäck und Wein beenden will.

Christie hat in der Partitur alle Zutaten gefunden, um diesen herrlich närrischen Cocktail zum Schäumen zu bringen. Die Pastoraletta Amor Vince Ogni Cosa (Die Liebe siegt über alles), eine entzückende kleine dramatische Kantate, wird auf ebenso liebenswerte Weise übersetzt, und die drei Arien über die Stanzen des Cid, sehr ernste Arien, die auf Texte von Monsieur Corneille geschrieben wurden, liefern uns ein weiteres Beispiel für die Vielfalt der Werke von Charpentier, den Christie so sehr liebt, dass er den Namen eines dieser Divertissements für den Namen seines Ensembles, Les Arts Florissants, gewählt hat. (ma)

Christie: sehr guter Rameau
Jean-Philippe Rameau: Hippolyte et Aricie; Mark Padmore, Anna-Maria Panzarella, Laurent Naouri, Les Arts Florissants, William Christie

Nach Mark Minkowskis brillanter Einspielung bei Archiv kommt nun William Christie mit einer weiteren hervorragenden Aufnahme der Rameau-Oper Hippolyte et Aricie. Christie erreicht die Faszination beim Zuhörer mit anderen Mitteln als Minkowski. Letzterer ist weicher, lyrischer, bringt mehr Poesie ins Spiel, während Christie mit dramatischer Kraft und kraftvoller Akzentuierungen überzeugt. Entsprechend sind auch die Hauptdarsteller bei Minkowski in ihrer Intimität reizvoll, während sie bei Christie Expressivität in der Theatralik erzielen. Hier ist alles nervöser, angespannter, packender im Handlungsablauf. Der brillante Klang des Orchesters trägt sehr viel zur Wirkung dieser Aufnahme bei, die jener Minkowskis, wie gesagt, im Niveau ebenbürtig ist. (RéF)

Christies Entführung
Wolfgang Amadeus Mozart: Die Entführung aus dem Serail; Christine Schäfer, Patricia Petibon, Ian Bostridge, Iain Paton, Alan Erwing, Jürg Löw; Les Arts Florissants, William Christie (127’)

Das große Plus der neuen Aufnahme von Mozarts ‘Entführung’ ist William Christie mit seinem Orchester. Der Dirigent belebt die Orchesterpartitur wie kaum einer seiner Kollegen. Das Orchester hat durchgehend eine sehr starke Präsenz. Es musiziert mit viel Spielfreude, einem sehr durchsichtigen und dennoch etwas körnigen Klang. Die Farben sind frisch und leuchtend.

Christine Schäfer beeindruckt durch die Virtuosität ihrer angenehm timbrierten, abgerundeten, nicht zu scharfen, aber dennoch brillanten Sopranstimme. Sie lässt auch sängerisch keinen Zweifel an der Entschlossenheit Konstanzes. Was an Schmerz fehlt, wird durch Revolte wettgemacht.

Ian Bostridge hat eine schöne Stimme, daran besteht kein Zweifel. Das meiste, was er singt, ist auch untadelig. Doch was er in seiner Arie ‘Ich baue ganz auf deine Stärke’ im 3. Aufzug gemacht hat, ist rätselhaft: diese Arie bringt er so langweilig, als koste es ihn wirklich Mühe, Konstanze zu befreien. Zum Gähnen!

Darstellerisch und sängerisch exzellent ist Iain Paton als Pedrillo, während Patricia Petibon als Blonde zwar den Charakter der Figur trifft, aber mit einer dynamisch sehr unkontrollierten Stimme deutlich unter dem Niveau der anderen Sänger liegt.

Eine Enttäuschung ist Alan Erwing in der Rolle des Osmin. Nicht nur, dass seine Stimme unausgeglichen ist, dass immer wieder ganze Silben sozusagen verschluckt werden, nicht nur, dass in den Forte-Passagen die Stimme flattert, er ist auch im Ausdruck kein richtiger Osmin.

Die gesprochenen Dialoge sind trotz der englischen Interpreten akzeptabel, wenngleich hin und wieder banal in der Textwiedergabe. (RéF)

Charpentiers Divertissements
Marc-Antoine Charpentier: Divertissements, Airs  et Concerts; Les Arts Florissants, William Christie; 1 CD Erato 3984-25485-2 (73’15)

Diese CD ist interessant, weil sie einen Komponisten ehrt, der immer noch zu sehr vernachlässigt wird. Was uns stört, ist die Fortsetzung des Programms, die die Stimmungswechsel nicht berücksichtigt (und etwas abrupt mit ‘La Pierre Philosophale’ beginnt). Die Lesung ist wie immer bei Christie prachtvoll, aber seine Solisten sind nicht alle auf der Höhe dessen, was Charpentier verlangt. (ma)

Madrigali von D’India
Sigismondo d’India: Madrigali; Les Arts Florissants, William Christie; (64’48)

William Christie und Les Arts Florissants widmen sich diesmal einem Zeitgenossen von Monteverdi. Sigismondo d’India (1582-1628) war in seiner Zeit berühmt für seine Madrigal-Kompositionen. Zwischen 1606 und 1624 komponierte er  insgesamt 8 Bände für zwei resp. fünf Stimmen. Auf dieser CD finden sich Auszüge aus den 8 Bänden und zeigen so einen repräsentativen Querschnitt durch das Madrigal-Schaffen D’Indias. Die Interpretation durch William Christie zeugt von jener Sorgfalt, die diesem Musiker zu eigen ist. Die musikalische Umsetzung durch Les Arts Florissants und diverse Gesangssolisten ist vortrefflich. (ma)

Händels Acis and Galatea
Georg Friedrich Händel: Acis and Galatea; Sophie Daneman (Galatea), Patricia Petibon (Damon), Paul Agnew (Acis), Joseph Cornwell (Coridon), Alan Ewing (Polyphemus), Les Arts Florissants, William Christie (91’13)

Mit einem sehr kleinen Orchester und einer Gruppe von Sängern mit großer stimmlicher Beweglichkeit zeigt uns William Christie auf effektive Weise, dass Acis and Galatea eine perfekte Pastorale sein kann – wenn der Interpret dies so entscheidet. Es gibt also keine dramatischen Ausbrüche, und alles ist ‘softly, gently, kindly’, bis hin zu der Szene, in der Polyphem Acis mit einem Felsen tötet.

Die Zärtlichkeit der Stimmen und die der Instrumente ergänzen sich zu unserem Vergnügen, denn unter diesen sorgfältig kolorierten Melodien sorgt eine wunderbare Bassführung dafür, dass dieses charmante bukolische Leben dennoch sehr lebendig ist.

Christie verwendet für diese Aufnahme eine eigene Version, die sich von der Gardiners unterscheidet. Insbesondere hat er die Interpreten einiger Arien geändert, was im Libretto nicht erwähnt wird, wo es heißt, dass die Arie ‘Would you gain the tender creature’ von Damon gesungen wird. Die Arie ‘Consider, fond shepherd’ wurde Coridon zugeschrieben. Aber ein schlecht gemachtes Booklet wird uns nicht davon abhalten, diese Aufnahme zu empfehlen, deren anmutiger Charme uns weit weg von unserer hektisch schnellen und nervösen Welt in eine Oase führt, in der die Grausamkeit eines Zyklopen diese Insel des Friedens und der Schönheit nicht berauben kann. (ma)

Die Emotionen auf den Punkt gebracht
Georg Friendrich Händel: Alcina; Les Arts Florissants, Renée Fleming, Susan Graham, Natalie Dessay, Kathleen Kuhlmann, Juanita Lascarro, Timothy Robinson, Laurent Naouri; Leitung William Christie (190’57) William Christies neue Version von Alcina entstand nicht in Aufnahmestudios, sondern wurde live im Palais Garnier in Paris aufgezeichnet. Die fünf Aufführungen vom 10., 13., 16., 19. und 20. Juni 1999 wurden für die Herstellung dieser großartigen Dreifach-CD verwendet. Natürlich ist das erste, was beim Hören dieser Aufnahme auffällt, die trockene Akustik (Wir haben uns wohl zu sehr daran gewöhnt, Les Arts Florissants in Studioakustik zu hören.). Das Palais Garnier ist natürlich ein Opernhaus im italienischen Stil, das so konzipiert ist, dass der Nachhall weitestgehend eliminiert wird. Der Klang breitet sich direkt aus und transportiert die textliche Artikulation gut, aber er « bleibt » nicht. Daher hat man den Eindruck, dass Les Arts Florissants etwas dumpfer als sonst spielen, und es bedarf einer gewissen Anstrengung, um sich in diesen Klang hineinzuversetzen, bevor man sich beim Hören dieser Aufnahme wohlfühlt.

Hat man es jedoch erst einmal geschafft, seine stereophilen Reflexe abzulegen, befindet man sich am Rande eines wunderbaren Gartens, der nur darauf wartet, Augenblick für Augenblick genussvoll entdeckt zu werden. Die Tonaufnahme gibt jedes noch so kleine Detail der Aufführungen wieder. Das Orchester wird bis ins kleinste Detail originalgetreu wiedergegeben, selbst das Cembalo oder die Theorbe sind ohne Schwierigkeiten zu hören. Das Klangbild bleibt, trotz der oben genannten Vorbehalte, sehr hell und, wahrscheinlich aufgrund der akustischen Umgebung, übermäßig transparent. Dennoch sind Schwankungen in der Intensität der Solisten festzustellen, die auf ihre Bewegungen in Abhängigkeit von der Inszenierung zurückzuführen sind, was jedoch den lebendigen Charakter dieser Aufnahme nur noch verstärkt. Dies führt jedoch unweigerlich zu der Feststellung, dass jede noch so perfekte Opernaufnahme mehr als fünfzig Prozent der Aufführung zerstört: Wir sehen weder Kulissen noch Kostüme noch die Inszenierung. Die Auswahl an Solisten ist fabelhaft: Renée Fleming, Sopran, in der Titelrolle der Alcina, Susan Graham, Mezzosopran, in der Rolle des Ruggiero, Natalie Dessay, Sopran, in der Rolle der Morgana.

Die anderen Rollen sind mit gleichwertigen Solisten besetzt: Kathleen Kuhlmann, Alt, Juanita Lascarro, Sopran, Timothy Robinson, Tenor und Laurent Naouri, Bass. Der emotionale Charakter dieser Aufnahme kann jedoch nicht genug betont werden. Da die einzelnen Tracks nicht wie bei einer Studioproduktion manipuliert wurden, entwickelt sich beim Hören dieser CD eine dramatische Spannung, die über die gesamte Dauer der drei CDs anhält. In diesem Zusammenhang akzeptieren wir einige Schwächen, die bei der Aufführung eines solchen Werks, das ohne große Nachbearbeitung live aufgenommen wurde, unvermeidlich sind. Vielleicht haben wir vergessen, dass selbst die größten Künstler nur Menschen und keine Musikmaschinen sind und, dass die Aufführung eines solchen Werks (drei Stunden Musik) eine derartige körperliche und geistige Anstrengung erfordert, dass es fast unmöglich ist, einen ganzen Abend lang durchzuhalten, ohne zu versagen: Die Stärke der Großen besteht einfach in ihrer Fähigkeit, mit allen Unwägbarkeiten glänzend umzugehen. Hier ist also ein meisterhaftes Beispiel dafür, was aus einer Aufnahme werden kann, wenn die Mikrofone die Zeugen seltener musikalischer Glücksmomente sind. Hier schafft die Schallplatte kein Ereignis, sondern hält es für die Nachwelt fest. (Pirath)

Christie dirigiert Rameau
Jean-Philippe Rameau: La Guirlande + Zéphyre; Sophie Daneman (Zélide), Paul Agnew (Myrtil), François Bazola (Hylas); Gaëlle Méchaly (Zéphyre), Rebecca Ockenden (Chloris), Sophie Decaudeveine (Diane), Chœur des Arts Florissants, Capella Coloniensis des WDR, William Christie (95’24)

Ein kleiner Flirt kann die wahre Liebe nicht trüben, das ist die Lehre, die Rameaus La guirlande verkündet, während Zéphyre die Standhaftigkeit der Waldnymphe Chloris gegenüber dem Liebeswerben des Westwind-Gottes Zephyr zum Inhalt hat. Nun wäre es um das Keuschheitsgelübde der Chloris fast geschehen, Amor hätte fast gesiegt, aber Diana wachte und Zephir erhebt Chloris zur Göttin des Frühlings mit Namen Flora. Die beiden erotisierenden Musikstücke fasste Rameau in eine edle, sinnliche Pastorale, die jedes Eskimo-Ohr zum Schmelzen bringen muss, zumindest, wenn sie so leuchtend und zart zugleich, so wohl geformt, bei völliger Windstille doch so schwungvoll, so selig und beseligend dargeboten wird wie in diesen Aufnahmen unter der Leitung des Rameau-Zauberers William Christie.

Und dennoch frage ich mich, ob in den Solopartien mit etwas reicheren Stimmen als jene, die dem direkten Umfeld von Les Arts Florissants entstammen, nicht noch mehr Wirkung hätte erzielt werden können, zumal in La Guirlande, wo Sophie Danemans doch recht simpler Sopran auf die weitaus besser geführte Stimme Paul Agnews trifft. Christies Besetzung mag freilich historisch richtiger sein. Wem dieses Kriterium als allein seligmachendes genügt, wird kaum etwas an diesen Einspielungen zu beanstanden haben. (RéF)

Lully im Resümee
Jean Baptiste Lully: Les Divertissements de Versailles; Les Arts Florissants, William Christie (78’04)
Diese wunderschöne CD von William Christie bietet einen Streifzug durch das umfangreiche Werk des Komponisten des Sonnenkönigs, von Ballettkomödien bis hin zu lyrischen Tragödien. Die Musik von Jean-Baptiste Lully entfaltet sich auf dieser CD in ihrer ganzen Pracht. Der Dirigent haucht den verschiedenen Seiten eine ständige Bewegung ein, die die Musik wie einen Wirbelwind mit ihren ‘effetti’ und ‘affetti’ weiterentwickelt und die opulenten lyrischen Szenen, die Lully für Ludwig XIV. und sein edles Publikum komponierte, kraftvoll andeutet. Christie und seine Sänger – die meisten von ihnen hervorragend und sehr engagiert – scheuen keine Mühen, um unsere Aufmerksamkeit zu fesseln. Eine CD, die man sich von Anfang bis Ende mit echtem Vergnügen anhört. (ma)

Großartige Händel-Sonaten
Georg Friedrich Händel: Violinsonaten HWV 358, 359a, 361, 364a, 370-372; Hiro Kurosaki, Violine, William Christie, Cembalo, Orgel (59’31)

Im Rahmen der klassischen Rhetorik gehört der Bescheidenheitstopos ja zu den üblichen Mitteln, zur ‘captatio benevolentiae’ am Beginn einer Rede. Vielleicht war es ja ein Gedanke dieser Art, der einen musikalischen Großrhetor wie William Christie dazu bewogen hat, zum Einstand bei seinem neuen Label ein produktionstechnisch wie auch in Repertoirefragen ‚kleines‘ Kammermusikprojekt wie dieses vorzulegen. Eine der üblichen Wirkungsweisen dieser Topik ist es denn auch, gerade in der Untertreibung die wahre Größe v. a. des Redners erahnen zu lassen.

Gemeinsam mit dem kammermusikalisch bereits gut erprobten Konzertmeister seiner ‘Arts Florissant’s hat er ein Programm von Violinsonaten Händels zusammengestellt, die ihrem Ruf nach nicht gerade zu den Virtuosenstücken der Literatur gehören. Seine ganze Laufbahn abdeckend, fangen diese dabei allerdings einen großen Teil der Klangsprache Händels ein, und bei angemessener Darbietung vermögen sie auch eine gepflegte Unterhaltung zu garantieren. Und genau diese exzellente Darbietung leistet das hervorragend aufeinander eingestimmte Duo denn auch. Kurosakis Spiel ist nicht weniger als umwerfend. Keine artikulatorische oder phrasale Nuance des Texts lässt er unausgespielt. Die Verzierungen gestaltet er dabei mit einer geradezu aus dem altbekannten Ärmel geschüttelten Eleganz, ohne jemals auch nur den Anschein erzwungener Bravour zu erwecken.

Dass es sich bei Christie um einen mindestens kongenialen Begleiter handelt, steht außer Frage. Immer auf einen dienenden Gestus bedacht, tritt er nirgends sehr in den Vordergrund, hoch alert geht er dabei aber auf jede agogische Feinheit im Spiel Kurosakis ein. Klangfarblich setzt er mit seinem Wechsel zur Orgel willkommene Nuancen. Die etwas süffisant wirkende gute Laune, die beide Musiker auf den Fotos im Beiheft ausstrahlen, scheint tatsächlich die vorherrschende Stimmung bei der Aufnahme gewesen zu sein. Wie nur selten bleibt hier auf ansprechendste Weise der Eindruck zurück, als sei ausnahmslos alles ‚richtig‘ gemacht worden – geradezu als habe Händel selbst die Aufnahme geleitet.

Für den Fall, dass es sich bei dieser Veröffentlichung um eine einstimmende Fingerübung für nachfolgende Arbeiten handelt, erwartet das hiermit geneigte Publikum in der Tat Großes. (ejh)

Glanzvolles Händel-Oratorium
Georg Friedrich Händel: Theodora; Sophie Daneman, Daniel Taylor, Richard Croft, Nathan Berg, Juliette Galstian, Laurent Slaars, Les Arts Florissants, William Christie (178’10)

Wie kaum ein anderer bringt der Topos von ‘Virtue in Distress’, mit seinem bizarren erotischen Untergewächs die Kultur der Empfindsamkeit auf den Punkt. Das Libretto von Händels vorletztem Oratorium nun ist geradezu ein Musterbeispiel dieser literarischen Epoche. Von einem auf den heiligen Ambrosius zurückgehenden Märtyrerbericht inspiriert, schuf der Geistliche Thomas Morell, der bereits für ‘Judas Makkabäus’ verantwortlich war, diese Textvorlage. Gerade hat die Heldin sich der Christusnachfolge in Keuschheit verschrieben, da erlässt der Gouverneur Valens ein Edikt, dem zu Folge alle Staatsbürger dem römischen Kult zu huldigen haben. Theodora, die sich diesem Edikt widersetzt, soll statt hingerichtet zu werden, als Prostituierte dienen. Wie kaum anders zu erwarten, regte dieser Text Händel zu einem Oratorium an, das in manch einer Arie zum Schönsten und Ergreifendsten zählt, was der in dieser Beziehung nicht gerade arme Komponist in seinem Leben verfasst hat. Vor allem bediente er sich dabei des feierlichen, oratorienhafte Registers, das hier an mancher Stelle in tiefer Betrübtheit schwelgt. Dass das Werk dennoch kein Publikumserfolg war, erklärte sein Schöpfer sich selbst damit, dass es als einziges seiner Oratorien einen genuin christlichen Stoff hatte und dass dabei ein tugendsamer Lebensentwurf im Mittelpunkt stand. Einem derart erhabenen Werk sind William Christie und ‘Les Arts Florissants’ natürlich aufs Beste gewachsen, wie das Ensemble es bereits bei mehreren begeistert aufgenommenen Aufführungen, u. a. in Glyndebourne, darlegen konnte. Aus dem durchgehend sehr guten und schönstimmigen Solistenensemble ragt Sophie Daneman als Hauptfigur mit einer facettenreichen Gestaltung und einer ‘jungfräulich’-feinen Stimme hervor. Auch ihr Verehrer Didymus wird sowohl in vielen technisch anspruchsvollen Passagen, als auch in den lyrischen Arien von dem kanadischen Countertenor Daniel Taylor aufs Beste ausgefüllt.

William Christie stellt vor allem den würdevollen, glanzvollen Aspekt des Oratoriums in den Vordergrund, so dass sich seitens des Publikums ein tiefes Ergriffensein nur schwer vermeiden lässt. Neben der Einspielung unter Paul Mc Creesh gibt es hiermit nun eine weitere empfehlenswerte Darstellung. (ejh)

Erwartungsgemäße Darbietungen
André Campra: Grands Motets; Jaël Azzaretti, Paul Agnew, Bruno Renhold, Nicolas Rivenq, Andrew Foster-Williams, Arnaud Marzorati, Les Arts Florissants, William Christie (67’04)

Erst nach dem Tod Ludwigs XIV. erhielt der 1660 in Aix-en-Provence geborene André Campra einen Posten am Hof und arbeitete sich dort zu den Vollendern des nach-Lullyschen Sakralstils vor. Zu jenem Zeitpunkt hatte er sich als Chorleiter an der Kathedrale von Toulouse und später an Notre-Dame einen Namen gemacht und sogar einige Opern verfasst. Die ‘Grand Motet’ gehörte zu jenen Gattungen, die den Komponisten jener Zeit mit ihrem großen Gestaltungsspielraum größte Möglichkeiten ließ, ihre kreative Energie, ihr handwerkliches Können und ihre geistliche Tiefgründigkeit unter Beweis zu stellen. Wie die hier eingespielten Beispiele zeigen, stand Campra all dies in Fülle zur Verfügung.

Dass William Christie und sein Ensemble bei diesem Komponisten ganz in ihrem Metier sind, belegt nicht nur, dass sie hier ein zweites Mal zu seinem Werk zurückkehren, sondern auch, dass es sich bei Les Arts Florissants ganz ursprünglich um ein Spezialensemble für die französische Musik genau dieser Epoche handelte. Was also bleibt einer derartigen Tatsachenlage zu sagen übrig? Eines der größten Barockensembles in seinem Metier, ein sehr schönes Repertoire, und durchweg klangschöne, hingebungsvoll gestaltende Solisten. Eine ausgewogene, immer weise und maßvolle Darbietung, die in den Passagen barocken Pomps ebenso glänzt wie in den entrückt dahin schmelzenden kontemplativen Momenten des Requiem-Introitus…eine erwartungsgemäß hervorragende CD. (ejh)

Sehr gut, aber…
Georg Friedrich Händel: Serse; Anne Sofie von Otter, Elizabeth Norberg- Schulz, Sandrine Piau, Lawrence Zazzo, Silvia Tro Santafé, Giovanni Furlanetto, Antonio Abete, Les Arts Florissants, William Christie (165’06)

Vor Veröffentlichung dieser CD sind seitens der Feuilletons bereits große Worte zur Aufführung einer der heute populärsten Opern Händels unter William Christie gefallen. Tatsächlich kommen hier einige Faktoren zusammen, die eine grandiose Veröffentlichung garantieren. Ein erfahrenes Ensemble, das ganz in seinem Element ist, ein Dirigent, der zur Speerspitze der Wiederbelebung alter Musik zählt und für sein Gespür für reizvolle Besetzungen und sensible Auslegungen berühmt ist und schließlich ein Solisten-Ensemble, das sowohl die Stars der Gattung versammelt, wie einige Entdeckungen zu bieten hat.

Daneben bietet die CD aber auch einige der Eigenheiten von Live-Einspielungen, deren Bewertung eher vom persönlichen Geschmacksurteil des Hörers abhängen. Im vorliegenden Fall stellte sich die eingefangene Raumakustik des Théâtre des Champs-Elysées mit ihrer etwas dämpfenden Trockenheit als gewöhnungsbedürftig dar. Über die Länge von 3 CDs allerdings lässt sich dieser Gewöhnungsprozess durchaus vollziehen, so dass das Wiederhören einen weit freundlicheren Eindruck hinterlässt. Dass das Publikum sich an einigen Stellen bemerkbar macht, lässt sich bei einer derartigen Einspielung ebenso wenig verhindern –  hat an einigen Stellen sogar seinen nicht zu verleugnenden Charme (etwa beim kollektiven Schmunzeln zu Elviros Geschlechtswandel) –  wie der Eindruck unterschiedlich aufgelegter Solisten.

So scheint sich ausgerechnet Anne-Sofie von Otter, der die Rolle des Serse zuerkannt wurde, nicht in ihrer Höchstform zu befinden. Dass ihr vibratoreicher Vortrag im Fall des barocken Repertoires streitbar ist, ist eine Sache, dass sich bei Ombra mi fu, einem der größten Erfolge Händels, und manchen Rezitativen der Eindruck fehlender Sammlung nicht verleugnen lässt, eine andere. Die Rolle des bis zur letzten Szene irrenden, umsonst tobenden Tyrannen ist sicherlich keine Heldenrolle, die aufstrebende Frische fordern würde, doch ob andererseits die hier zelebrierte, an Hamlet oder Lear gemahnende Schwere wirklich von Nöten ist, lässt sich im Rahmen einer Rezension nicht im Detail erörtern.

Natürlich hat die Veröffentlichung zahlreiche grandiose Aspekte. Vom Vortrag Sandrine Piaus, die hier die Rolle der intriganten Atalanta mit kesser, scheinbar schwereloser Virtuosität ausfüllt, kann man nur schwerlich müde werden. Mit ihrem zarten, jugendlichen Sopran legt sie ihre oft atemberaubend verzierten Arien mit einer Leichtigkeit dar, die scheinbar beiläufig erzeugt ist, und damit echte Eleganz erzeugt. Auch die stimmlichen Qualitäten Silvia Tro Santafes erwecken positive Aufmerksamkeit. Ihr tiefer Mezzo, der gelegentlich an einen Knabentenor erinnert, scheint wie geschaffen für die androgyne Rolle der als Mann verkleideten, exotischen, als Thronerbin vorgesehenen Amastre, deren Lamenti angesichts ihrer Verkanntheit zu den anrührenden Momenten des Werks zählt. Auch Elizabeth Norberg-Schulz als Romilda und Lawrence Zazzo als leidender Held Arsamene legen ihre Rollen mit fesselnder Hingabe aus und sind beide ihren sängerischen Herausforderungen selbstverständlich bestens gewachsen. Antonio Abete daneben verleiht mit seinen komödiantischen Qualitäten dem ganzen Werk zusätzliche Qualitäten. Dass schließlich hinsichtlich des Dirigats und Ensemblevortrags, besonders der Chorpartien, nur ein Tor Kritik zu melden hätte, steht im Grunde außer Frage.

Es sind also insgesamt eher nebensächlichere Faktoren, die von einer Höchstbwertung abhalten. (ejh)

Schade!
Marc-Antoine Charpentier: Te Deum H.146 + Messe pour les trépassés à 8 H.2 + Prose des morts H.12 + Motet pour les trépassés à 8 H.311; O. Pitarch, O.V. isidro, Dessus, P. Agnew, J. Thompson, Haute-contre, T. Lehtipuu, M. Mauillon, Tailles, B. Bontoux, J. Fernandes, Basses, Les Arts Florissants. William Christie (79’21)

Was hat William Christie bloß geritten? Nachdem er vor 16 Jahren das berühmte Te Deum von Marc-Antoine Charpentier aufgenommen hatte, kehrte Christie mit denselben Arts Florissants mit einer zweiten Version zurück, die jedoch das genaue Gegenteil derjenigen ist, die wir immer noch als Referenz betrachten.

Während die erste Version ein perfektes Gleichgewicht zwischen den musikwissenschaftlichen Anforderungen, dem künstlerischen Ausdruck und der Spiritualität des heiligen Textes herstellt, scheint uns diese neue Version eine offensichtliche Verschiebung hin zum Theatralischen auf Kosten des spirituellen Ausdrucks zu sein. Viele Passagen wurden aufgrund ihrer musikalischen Schönheit überarbeitet, ohne dass eine echte Suche nach der Korrelation zwischen der Musik und dem heiligen Text stattgefunden hätte, die bei Charpentier so eng und offensichtlich ist. Auch das Grand Office des Morts kann uns nicht mit der Vision von W. Christie versöhnen, so dass uns diese CD trotz unserer Verehrung für den Komponisten und der Bewunderung, die wir normalerweise für den nach Frankreich gezogenen amerikanischen Meister empfinden, bitter enttäuscht zurücklässt. (PiRath)

Stimmen im Garten
Le Jardin des Voix: Werke von H. & D. Purcell, D. Mazzocchi, L. Rossi, M. Lambert et al.; Amel Brahim-Djelloul, Claire Debono, Judith Van Wanroij, Xavier Sabata, Andrew Tortise, André Tortise, André Morsch, Konstantin Wolff, Les Arts Florissants, William Christie (76’29)

Sandrine Piau, Véronique Gens, Gérard Lesne – die Liste der herausragenden Gesangssolisten, deren Karriere durch eine Zusammenarbeit mit William Christie einen entscheidenden Schub erhalten hat, lässt sich lange fortsetzen. Mit seinem Projekt ‘Le Jardin des Voix’ hat Christie nun beschlossen, in sein Interesse an der Förderung junger Talente System zu bringen. Zum zweiten Mal fand im vergangenen Jahr eine Tour durch die großen Konzertbühnen statt, innerhalb derer sieben junge Sängerinnen und Sänger Gelegenheit hatten, ihre Künste und Fertigkeiten zu Gehör zu bringen. Das Projekt kam so gut an, dass Christie während seine ‘Hercules’-Tour bereits Auditionen für die nächste Runde durchführte.

Zu hören ist auf diesem Mitschnitt eines Konzerts in Paris das gesamte Programm, das sich über das gesamte Repertoirespektrum Christies erstreckt. Dass damit die enorme Vielseitigkeit des fördernden Meisters zum Vorschein kommt, wenn nicht in den Mittelpunkt rückt, muss nicht erst hervorgehoben werden. Von komischen Ensembleszenen mit betont ‘kunstlosem’ Gesang über tiefernste Madrigale, französische Airs und Arien von Händel bzw. Mozart. Revueartig befinden sich die Besetzungen, Stimmungen und Gattungen im steten Wechsel. Als durchgehender Faden schwebt über dem gesamten Vortrag ein Moment jugendlicher Frische, der sich in dem Kontext gewinnbringend anbietet. Das Niveau der Vortragenden ist erwartungsgemäß hoch. In Erinnerung bleiben vor allem Anel Brahim-Djellouls variabler, sowohl unschuldig-helle als auch dramatisch voluminös gestaltender Sopran sowie Xavier Sabatos humoristisches Talent als leichter Counter. Dies soll nicht von den weiteren erstklassigen Leistungen im Ensemble ablenken.

Als Hörerlebnis hat die CD jedenfalls ein höchst abwechslungsreiches Best-of-Christie-Flair. Und das hat, wie gesagt, schon immer erstklassige Stimmen bedeutet. Interessant wird auch sein, den weiteren Verlauf der Karrieren der Beteiligten zu verfolgen. (ejh)

Absolute Souveränität
Marc-Antoine Charpentier: Judicium Salomonis, Motet pour une longue offrande; Les Arts Florissants, William Christie (63’00)

Er kehrt immer wieder zu ihm zurück: William Christie hat mal wieder eine Charpentier-CD vorgelegt. Wenn es einen Interpreten gibt, der bei Nennung des Komponisten in Erinnerung kommen sollte, dann war es hier scheinbar schon ‚immer’ Christie. Und wenn sich über die Jahrzehnte eine Autorität auf dem Gebiet herausgebildet haben sollte, dann ist das auch Christie. Seit Beginn der historisch informierten Dokumentation des Komponisten war Christie eine der souveränsten Stimmen, und auch hier ist er wieder voll in seinem ‚Element’.

Beide Werke wurden vom Komponisten in dessen sechsten Lebensjahrzehnt verfasst, dokumentieren also dessen voll entwickelten ‚Reifestil’. Dabei werfen beide Motetten ein unterschiedliches Licht auf Charpentier: Während die dramatische Motette Judicium Salmonis  zur Gattung der ‘histoires sacrées’ zählt, und durch eine opernhafte Narrativik geprägt ist, war die liturgische Motette durch ihren gottesdienstlichen Zweck gekennzeichnet: Große, ausgefeilte Orchestrierung und erhabener Kontrapunkt. Eine gelungene Kombination also.

Über William Christies Charpentier-Arbeit lässt sich im Grunde nicht viel Neues feststellen. Alles scheint ‚richtig’, die Tempi, die Dynamik, die Spannungsbögen. Die Darbietung wirkt  hochkonzentriert und locker aus dem Ärmel geschüttelt zugleich, elegant und emotional – man höre beispielsweise das anmutige Blockflötenidyll in der ‘Simphonie’, die den zweiten Teil des Judicium Salomonis eröffnet oder die himmelsstürmerischen Chöre in der liturgischen Motette. Nirgendwo sonst wird bei diesem Repertoire die gleiche Souveränität erreicht. (ejh)

Keine herausragende Schöpfung
Joseph Haydn:  Die Schöpfung; Genia Kuhmeier, Toby Spence, Dietrich Henschel, Sophie Karthäuser, Markus Werba, Les Arts Florissants,  William Christie (103′)

Das hört sich gut an! Die silbernen Klänge von Les Arts Florissants werden von William Christie zu einem Ganzen gesponnen. Aus dem etwas halligen Gesamtklang isolieren sich aber immer wieder einzelne Instrumente auf deliziöse Art heraus. Auch die Sänger stehen sehr im Vordergrund, hin und wieder ein bisschen nackt. Ein kleines Klangtuch hätte gut getan. Diese Sänger sind auch recht gut: Genia Kühmeier und Toby Spence sind von liebenswerter Naïvität, Dietrich Henschel bleibt jedoch mehr auf Distanz und insgesamt nüchterner, wenn nicht sogar zu nüchtern. Sophie Karthäuser und Markus Werba sind ein eher ungleiches Paar.

Bei aller Vitalität und Spannung sind also doch kleine Einschränkungen nötig. Und werten das Ganze etwas ab. Eine gute Schöpfung, aber keine herausragende! (RéF)

Superlativ
Duetti da Camera; G. B. Bononcini: Pietoso nume arcier, Chi d’Amor tra le catene; B. Conti: Quando veggo un’usignolo; F. Mancini: Quanto mai saria più bello; B. Marcello: Chiaro e limpido fonte, Tirsi e Fileno; N. Porpora: Ecco che il primo albore; A. Scarlatti: Amore e Virtu, Nel cor del cor moi; Philippe Jaroussky, Max Emanuel Cencic, contreténor, Les Arts Florissants, William Christie (74’21)

Philippe Jarousskys Stimme ist superlativ, und auch Cencics Stimme ist außergewöhnlich. Wenn sie sich in diesem wunderbaren Programm aus italienischen Rezitativen, Arien und Duetten vereinen, lassen sie unser Glück exponentiell wachsen. Das Programm besteht hauptsächlich aus weltlichen Kantaten, die geschrieben wurden, um die vom Papst für mehrere Jahre verbotene Oper in der Ewigen Stadt zu ersetzen. Die beiden Sänger ergänzen sich gegenseitig, unterscheiden sich aber auch gut voneinander. Cencics Stimme ist etwas dunkler und etwas körniger, metallischer als die von Jaroussky, die reiner und ätherischer ist. Beide sind durch und durch virtuos, mit einer exquisiten Vokalität und einem berührenden Ausdruck. Einmal mehr beglücken uns Jaroussky und Cencic mit der Sublimierung der Gefühle und der reinen Schönheit ihres Gesangs, bewundernswert eingerahmt von William Christie und seinen Arts Florissants. (RéF)

WERKLISTE

Wolfgang Amadeus Mozart: Die Entführung aus dem Serail KV 384; Die Zauberflöte KV 620; Messe c-moll KV 427 « Große Messe »; Requiem d-moll KV 626 (Süßmayr-Version); Ave verum corpus KV 618
Georg Friedrich Händel: Acis and Galatea HWV 49a; Alcina HWV 34; Orlando HWV 31; Serse HWV 40; Theodora HWV 68; Violinsonaten HWV 358, 359a, 361, 364a, 370-372
Marc-Antoine Charpentier: La Descente d’Orphee aux enfers (Oper); Le Plaisirs de Versailles (Oper); Weihnachtsoratorium « In nativitatem Domini canticum; Medee (Lyrische Tragödie); Judicium Salomonis (Histoire sacree); La Pierre Philosophale; Messe de minuit; Te Deum; Motet pour une longue offrande; Grand Office des morts; Pastoraletta « Amor vince ogni cosa »; Concert pour 4 parties de violes; Pastorale « Il faut rire et chanter – Dispute de bergers »; 3 Airs sur les stances du Cid; Airs H. 441-443, 446, 447, 449b, 452, 454, 455, 461, 462, 464, 467, 469
Jean-Philippe Rameau: Zoroastre; Les Fetes d’Hebe; Hippolyte et Aricie; Zephyre-Ballettmusik; La Guirlande-Ballettmusik; Motetten « Deus noster refugium », « In Convertendo Dominus », « Quam dilecta »
Joseph Haydn: Die Schöpfung
Henry Purcell: Dido and Aeneas; King Arthur or The British Worthy; Jehova, quam multi sunt; Lord, what is man, lost man; Hosianna to the highest; Tell me, some pitying angel tell; Since God so tender a regard; In the midst of life; O all the people, clap your hands; In guilty night; The night is come; Close thine eyes; Now that the sun
Claudio Monteverdi: Vespro della Beata Vergine; Magnificat
Stefano Landi: Il Sant’ Alessio (Oper)
Jean-Baptiste Lully: Les Divertissements de Versailles (Arien, Szenen & Ballette aus Psyche, L’Amour Medecin, Armide, Les Plaisirs de l’Ile enchantee, Isis, Ballet des Muses Roland)
Etienne Mehul: Stratonice (Opera comique)
Jean-Joseph Cassanea de Mondonville: Psalmen « De profundis clamavi », « Dominus regnavit », « In exitu Israel »
Henry Demarest: Motetten « Domine, ne in furore », « Lauda Jerusalem », « Usquequo Domine »
Sigismondo d’India: Madrigali a cinque voci (Bücher 1, 3-5, 8); Le Musiche a una e due voci Buch 5 (Auszüge); Le Musiche da cantar solo Buch 1 (Auszüge)
Andre Campra: Notus in Judea Deus; De profundis; Exaudiat te Dominus; Salve Regina; Insere Domine; Florente prata; Quemadmotum desiderat cervus; Requiem aeternam aus Requiem
Francois Couperin: Audite omnes et expanescite; Salve Regina; Usquequo Domine; Respice in me; Quid retribuam tibi Domine; Lecons de Tenebres pour le Mercredi Saint; 4 Versets
John Blow: Peaceful is he and most secure; Salvator Mundi
William Croft: What art thou
Pelham Humfrey: Lord! I have sinned; Wilt thou forgive
Le Jardin des Voix » – Arien & Duette von Marc-Antoine Charpentier, Andre Campra, Andre-Ernest-Modeste Gretry, Georg Friedrich Händel, Michel Lambert, Domenico Mazzocchi, Wolfgang Amadeus Mozart, Francois-Andre Danican Philidor, Henry Purcell, Jean-Philippe Rameau, Luigi Rossi
Philippe Jaroussky & Max Emanuel Cencic – Duetti – Arien & Duette von Giovanni Bononcini, Francesco Bartolomeo Conti, Francesco Mancini, Benedetto Marcello, Nicola Porpora, Alessandro Scarlatti

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