Auf seiner Abschiedstournee mit dem Israel Philharmonic dirigierte Zubin Mehta gestern Abend im National Forum of Music in Wroclaw Mahlers Dritte Symphonie. Remy Franck berichtet.
Auf einen Gehstock gestützt kam der 83-jährige Zubin Mehta in den Saal und wurde gleich vom Publikum mit einer Standing Ovation begrüßt. Vor vier Jahren hatte er mit seinem Orchester an den Eröffnungskonzerten des neuen Saals teilgenommen.
Als er dann, auf einem Hocker vor dem Israel Philharmonic, dem NFM Knabenchor und dem NFM Damenchor sitzend, die Arme hob und in einen düster formulierten Beginn der Symphonie eintauchte, war das der Angang einer etwa hundert Minuten langen, auf Stimmungsdichte und Kontraste setzenden Interpretation von Mahlers Natursymphonie. Beeindruckend, wie sich im ersten Satz gewaltige Klangmassen wie Felsblöcke schichteten, während sich hier ein Blümchen, dort ein Vögelchen anmutig zwischen diese musikalische Wucht schob. Das Hintergründige, Doppelbödige der Komposition kam so mit einer Kohärenz zum Ausdruck, die allem Trennenden eine packende innere Einheit gab, souverän und spannungsvoll dirigiert.
Das Klangliche wurde dabei im Spiel des Israel Philharmonic hier bedrohlich und dunkel pochend, dort hell und licht, nicht zuletzt durch die wunderbare Akustik des Auditoriums im NFM zum Erlebnis. Das Klangbild dieses Saals, das von Tateo Nakajima (artec-Gruppe) gemacht wurde, ist ungemein transparent, präsent in allen Registern und Lagen, untermauert von kräftigen und scharf-klaren Bässen. Das ist Musik in 3D und 4K Auflösung.
Den zweiten Satz (initial ‘Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen’) realisierte Mehta ruhig vorangehenden, mit vielen Farben. Dasselbe galt für den 3. Satz (‘Was mir die Tiere im Wald erzählen’). Mit ihrer hohen, klaren und wunderbar geführten Mezzostimme sang Gerhild Romberger das Misterioso des 4. Satzes sehr bewegend. Recht keck erklang der fünfte Satz, wobei insbesondere die frisch-jugendlichen Stimmen des NFM Chors beeindruckten.
Mehta erreichte eine großartige gestalterische Kraft im zweiten Ecksatz, dem langsamen und ruhevollen Finale über die Liebe, wo er genügend Atem hatte, um den großen Spannungsbogen beeindruckend zu dirigieren.
Mit einer langanhaltenden Standing Ovation bedankte sich das Publikum bei allen Beteiligten für eine herausragende Interpretation der 3. Symphonie von Gustav Mahler.
Zuvor hatten wir im Red Hall des NFM einer Aufführung der Oper Tolomeo e Alessandro von Domenico Scarlatti beigewohnt, die Jaroslaw Thiel an der Spitze des hervorragenden Wroclaw Baroque Orchestra mit viel Impetus und sehr spannungsvoll dirigierte.
Die Solisten waren Teilnehmer des 44. Oratorio and Cantata Music Interpretation Course, mehrheitlich junge polnische Sänger, die die einzelnen Rollen abwechselnd übernahmen. Die Stimmen waren von unterschiedlicher Qualität, von gehobenem Mittelmaß bis zu Gut, was uns daher auch ein angenehmes Musikerlebnis bescherte.