Flandern war über Jahrhunderte eine der musikalisch fruchtbarsten Regionen Europas. Noch immer lauern Schätze im Verborgenen, die nur darauf warten, gehoben zu werden. Partituren, die auf Spezialisten wie Frank Agsteribbe und sein Ensemble Canto LX warten.
Guy Engels – Über Jahre nun wartet dieses luxemburgische Vokalensemble, das sich auf Alte Musik spezialisiert hat, regelmäßig mit exzellenten Veröffentlichungen auf. Diesmal hat es sein Augenmerk auf zwei wenig bekannte Meister aus dem frühen 18. Jahrhundert gerichtet: Joseph-Hector Fiocco und Pierre-Hercule Brehy.
Brehy hat in Brüssel gewirkt, Fiocco hat seine Spuren in Antwerpen hinterlassen. Im Mittelpunkt dieser Aufnahme stehen zwei Requiem-Vertonungen, deren Interpretation vor allem durch ihre schlichte Schönheit beeindruckt.
Mit schlicht ist hier nicht naiv gemeint. Das Gegenteil ist der Fall. Canto LX betont durch seinen unmanierierten Gesang den sakralen Charakter der Musik, vor allem aber die wunderbare Vielschichtigkeit der Partituren.
Ein bestens ausbalanciertes Vokalquartett reicht vollends aus, um der Rhetorik dieser Kompositionen vollauf gerecht zu werden. Mit dem Ensemble de la Chapelle Saint-Marc steht Canto LX ein ebenbürtiger Partner zur Seite, mit dem das Vokalensemble von Beginn an zu einer gemeinsamen Sprache findet.
Es tut sich Hervorragendes in der luxemburgischen Barockszene!
Uwe Krusch – Die Beisetzung wohlhabendender oder bedeutender Menschen vor und in der Barockzeit war oftmals mit Feierlichkeiten verbunden, die auch festliche mehrstimmige Musiken zum Gedenken umfassten. Trotz eines Nachlassens dieser Tradition in den südlichen Niederlanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es auch dann Komponisten, die für diese Anlässe große Werke verfassten.
Zu diesen gehören Pierre-Hercule Brehy und die Brüder Fiocco. Während die hier vorgestellten Werke zweifelsfrei Brehy zugeschrieben werden können, ist es bei Fiocco nicht sicher, welchem Familienmitglied sie zuzurechnen sind. Joseph Hector Fiocco hatte einen auch in der Gegend tätigen Bruder, Jean-Joseph. Auch ihr Vater Pietro Antonio war als ausführender Musiker und Komponist tätig. Die Quellenlage, die nur einen Fiocco ohne Vornamen benennt, ist kaum hilfreich. Aus der Stilistik kann man aber schließen, dass der Komponist dieser Werke eben Joseph Hector war.
Besonders an der Missa von Fiocco ist der Einsatz von zwei Hörnern. Bekanntermaßen werden diese Instrumente für die Beschreibung der Jagd oder als Gottes Stimme im religiösen Kontext eingesetzt; im Requiem ist ihre Verwendung überraschend.
CantoLX ist ein junges Solistenensemble aus Luxemburg mit regulär sechs Mitgliedern, das sich bei Bedarf bis zum Kammerchor erweitert. An dieser Aufnahme waren vier Mitglieder beteiligt. Dazu haben sie als Instrumentalisten das Ensemble de la Chapelle Saint-Marc hinzugesellt. Alle werden vom belgischen Dirigenten Frank Agsteribbe koordiniert.
Die Beteiligten dürfen als Spezialisten für die Musik auch dieser Periode angesehen werden. Dementsprechend gelingt ihnen eine sensible Deutung dieser Werke. Die in allen Stimmen solistische Besetzung schafft eine klare und feine Struktur, die die Musik leicht und gut durchhörbar gestaltet. Ihr Antritt zeichnet die Musik in fließenden Konturen, die die Sanglichkeit aufzeigen. Damit schaffen sie ein reliefartiges Bild dieser wenig bekannten und doch so ausdrucksstarken Stücke.