Der deutsch-chinesisch Pianist Yi Lin Jiang, 1988 in München geboren, hat die erste von zwei geplanten CDs unter dem Motto Dualis herausgebracht. Der Pianist sagt: « Basierend auf den philosophischen Idealen der Antike untersucht dieses zweiteilige CD-Projekt die gegensätzlichen Elemente in der Musiksprache: die sich ergänzenden Stile der klassischen und der zeitgenössischen Periode die Überschneidung zwischen einer irdischen und transzendentalen Umgebung und die Verschmelzung von rationaler Intelligenz und rohen Emotionen, während die mehrdeutigen Bedeutungen und widersprüchlichen Ausdrücke der menschlichen Natur aufgedeckt werden. »
Er startet sein Programm mit Simplexity des amerikanischen Komponisten Randall Meyers, einem durchaus komplexen Werk impressionistisch-expressionistischen Zuschnitts, in dem leichte, quirlige Klänge immer wenn sie zu verspielt werden, in reflektiere Momente münden, wenn sie nicht gar von kräftigen Bassakkorden erdrückt werden. Das Stück wird dann meditativer, danach etwas unruhiger, auch aufgewühlt sowie virtuos revoltiert und endet wieder ruhiger. Das Unbeschwerte ist in der zweiten Hälfte der fast 22 Minuten langen Komposition nicht mehr zu finden.
Nach diesem modernen Psychogramm folgt Ravels Ma Mère l’Oye in der Transkription von Jacques Charlot für Klavier zweihändig. Jiang spielt die fünf Märchenbilder raffiniert und liebevoll, märchenhaft wie in einem Akt der verträumten Verzauberung. Selbst die dunklen Klänge des Biests klingen nicht sehr bedrohlich.
Es folgt die Sonate 1.X.1905, von Janacek komponiert als musikalische Reaktion auf einen brutal von der Polizei niedergeschlagenen Aufstand seiner mährischen Landsleute. Man hat sie dramatischer gehört als in dieser eher introvertierten Darstellung, und ich frage mich, ob da nicht noch etwas von Kämmerlings aseptisierendem Unterricht nachwirkt, etwas was Jiangs zweite Lehrerin, Ewa Kupiec nicht ausradieren konnte. Ihre eigene Version der Sonate ist jedenfalls kräftiger.
Mit einer charakteristischen Interpretation der 4. Klaviersonate von Sergei Prokofiev endet die CD. Die Unentschlossenheit der ersten zwei Sätze bringt Yang gut und mit kontrastierenden Stimmungen zum Ausdruck. Das abschließende Rondo spielt er virtuos, aber nicht enthusiastisch, so dass der etwas verhangene Grundcharakter der Sonate nicht aufgelöst wird.