Das Riot Ensemble stellt junge Kompositionsstimmen aus Großbritannien vor, wobei Jonathan Harvey (1939-2012) schon wegen seiner Lebensdaten eher ein Klassiker der Moderne ist. In den drei Beiträgen von Samantha Fernando werden Texte von einer fast nur geatmeten Darstellung in How Many Moments Must über die Rückkehr zum Text im Zusammenspiel mit einem Cello in Utterance bis hin zur Verschmelzung von Gesang und Instrumentalmusik in The Half Moon in verschiedensten Formen dargestellt. Die Kompositionsweise bedient Resonanz und harmonische Farben. Ebenso farbenreich ist die Musik von Aaron Holloway-Nahum, dessen Komposition Plane Sailing ein Klagelied ist, das er seinem bewunderten Freund Jonathan Harvey quasi als frühen Nachruf komponierte. Thematisiert wird das sich verflüchtigende Leben im Kontext von Alzheimer.
Micrographia von Laurence Osborn zeigt das Erstaunen über die Entdeckungen, die nach der Erfindung des Mikroskops möglich wurden. Inspiriert von Stichen von Robert Hooke aus dem 17. Jahrhundert werden zunächst verschiedene Stoffe unter dem Mikroskop betrachtet, während sich im abschließenden Satz der Blick auf den Weltraum wendet. In Songs Offerings beschreibt Harvey auf Texte von Tagore die Gefühle einer sich in Liebe verzehrenden Frau. Damit schließt sich auf der CD ein Kreis, da der sprachlose Beginn bei Fernando und das unaufhaltsame Auflösen bei Harvey beide die nackte Existenz und damit die Nähe zu Gott präsentieren.
Das Riot Ensemble ist in Großbritannien eines der herausragenden Beispiele für eine Gruppe, die sich erfolgreich der Neuen Musik verschrieben hat. Über ihr weitreichendes Netzwerk hat Riot seit acht Jahren schon mehr als 200 Uraufführungen geleistet, etliche davon nach Kompositionsaufträgen. Die Durchdringung der Werke gelingt ihnen mit solcher Ausdrucksstärke und spielerischen Beherrschung der Materie, dass sie selbst komplexe Partituren makellos durchleuchten.
Die Sopranistin Sarah Dacey ist in allen Werken die führende Protagonistin und gibt ihren stimmlichen Möglichkeiten alle erforderlichen Entfaltungsrichtungen, von kurzen Auswürfen über gesungene Linien bis hin zu gesprochenen Passagen. April Frederick steht ihr in Micrographia je nach Motiv entweder verwoben oder konträr zur Seite und liefert damit die zweite Ebene der Betrachtung. So liefern alle Beteiligten ein spannendes künstlerisches Bild von der politisch inzwischen abgedrifteten Insel.