Wer heute Aufnahmen wie diese in seinen CD-Player legt, begibt sich auf eine abenteuerliche Reise, zumal wenn er mit Hans Knappertsbuschs Dirigierstil nicht vertraut ist. Doch hat sich der Hörer erst einmal an Bord des auf mächtigen Klangwellen wogenden Schiffes gehievt, fühlt sich auch sehr wohl.
Gleich der erste Satz der Ersten Symphonie von Johannes Brahms zeigt effektvoll, wie ‘Kna’ Spannung schürt, der Musik Atem einhaucht und mit emphatischer Geste eine Rede- und Ausdrucksmusik macht. Das wiederholt sich in den drei anderen Symphonien mit einer großartigen Spontaneität des Musizierens.
Wie Knappertsbusch die Expansionsfähigheit der Musik zum Wirken bringt, ist vielleicht nicht nach jedermanns Geschmack, aber der Dirigent schafft damit eine ganz besondere Sphäre orchestralen Ausdrucks. Einmalig ist das beseelte Pathos dieser nie triefenden Interpretationen, einmalig ist die Kantabilität der langsamen Sätze, einmalig der majestätisch-heroische Elan der Ecksätze, einmalig sind die Stimmungsumschwünge.
Nicht weniger großartig sind die Aufnahmen der sechs Bruckner-Symphonien, die in dieser Box enthalten sind.
Knappertsbusch dirigiert sie alle mit großer Geste, tiefem Atem und einer unbeschreiblichen Intensität und Erregung. Ein treffliches Beispiel ist die Siebte. ‘Kna’ zeigt nicht nur Glanz und Glorie dieser Symphonie, sondern auch die Brüche, die in ihr enthalten sind, den aufschreienden und den zusammenknirschenden Bruckner, den im Schmerz erstarrenden Komponisten, dem es fast die Stimme verschlägt, der aber von innerem Jubel gepackt, sich immer wieder ekstatisch aufrafft. Kein Zweifeln und kein Verzweifeln gibt es hier, sondern die Kraft, die jede Widerwärtigkeit aus dem Wege fegt.
Aber es gibt in diesem Set auch eine großartige, hoch dramatische Dritte mit dem Orchester der Bayerischen Staatsoper. Die Aufnahme der Vierten ist die älteste überhaupt in dieser Box. Sie stammt von 1944 und wurde mit den Berliner Philharmonikern in Baden-Baden aufgenommen. Es ist eine heroische Aufnahme. Für die Fünfte benutzt Knappertsbusch, wie so oft, eine Partitur, in der es erhebliche Striche und Änderungen gibt, wie man sie heute nicht mehr gerne hört. Aber was gibt es doch für eine großartige Spannung hier, was für ein dramatisches Auf und Ab!
Die Achte wurde 1951 mit den Berliner Philharmonikern aufgenommen. Sie ist packend in ihrem emphatischen Diskurs.
Trotz der heute eigentlich inakzeptablen Kürzungen und Änderungen ist auch die Neunte mit den Berliner Philharmonikern (1950) eine extrem spannende Einspielung. Den ersten Satz kontrastiert Knappertsbusch sehr, mit fast gehetzten Passagen und anderen, die sehr breit angelegt werden. Auch hier überraschen spontane Einfälle, Akzentuierungen und Tempounterschiede.
Jedem, der Knappertsbuschs Brahms- und Bruckner-Einspielungen nicht kennt, muss man daher dieses Set empfehlen, denn es bringt dem Hörer ungemein viele neue Erkenntnisse, auch jenen Musikfreunden, die die Aufnahmen früher schon mal gehört haben und sie jetzt neuentdecken wollen.