Ausgehend von der italienischen Kantatenform aus abwechselnden Rezitativen und Arien schufen spätere Komponisten freiere Formen, die auch dem Text näher standen, da sie je nach dessen Erfordernissen mehr oder weniger frei zwischen den formellen Strukturen hin und her wanderten. Ein anderer Grund waren die unterschiedlichen Vorlieben des Publikums. So goutierte das englische Publikum weder den italienischen Text noch die Form, worauf der clevere und geschäftstüchtige Händel reagierte, indem er eine Kantate als Sologesangsstück auffasste und Text, Emotion sowie Aufführungsumfeld anpasste.
Die Kantaten von Johann Sebastian Bach bauen auf verschiedenen Beispielen auf, die sich von der italienischen Urform emanzipiert haben. Das Lamento ‘Ach, dass ich Wassers g’nug hätte’ von Johann Christoph Bach stellt ein besonderes Exemplar des empfindsamen und emotionsgeladenen Stils dar. Ein schuldbewusster Sünder stimmt einen Klagegesang an, der mit Seufzern, Tritonusfloskeln und auch den Pausen, die Teil der Sprache sind, weit über die Standards seiner Zeit hinausweist.
Bejun Mehta, ein inzwischen gefeiertes Mitglied der bekannten Musikerfamilie, gehört nicht zu den Süßholzrasplern. Aber seine Gestaltung ist trotzdem spannend, da sie die Emotionen intensiv zu Tage fördert. Das weitgespannte Programm dieser Aufnahme bietet ihm alle Möglichkeiten, diesen Reichtum an Ausdrucksformen zu formulieren. Und das gelingt ihm auf seine besondere Art makellos.
Als Begleiter hat Mehta sich die Akademie für Alte Musik ausgewählt, und zusammen schaffen sie eine spannende und abwechslungsreiche Schau auf verschiedene Modelle der Kantate.